Die Frauen von Clare Valley
war, umso weniger konnte sie über die Frage nachgrübeln, warum Alex noch immer nicht angerufen hatte. Sie hatte immer wieder auf ihr Handy geschaut, vor allem im Anschluss an ein Telefonat, nur für den Fall, dass es ein Problem mit dem Klingelton gab und sie den Anruf überhört hatte. Jedes Mal Enttäuschung. Keine versäumten Anrufe, keine Nachrichten auf der Voicemail. Sie hatte sich jedes erdenkliche Szenario ausgemalt. Er wartete bis nach dem Frühstück. Dem Mittagessen. Dem Abendessen. Ihr war jeder Grund willkommen, nur nicht der offensichtliche. Er rief nicht an, weil er nicht mit ihr reden wollte.
Als sie gerade Ellens Nummer auf dem Festnetz wählte, klingelte ihr Handy. Sofort legte sie den Hörer auf und ging an den anderen Apparat. »Lola Quinlan.«
»Lola, hi. Schon irgendwas gehört?« Es war Luke.
Ihr Puls beruhigte sich wieder. »Nein, leider nicht. Und als die vornehme Dame, die ich nun mal bin, werde ich auf seinen Anruf warten.«
»Das tut mir wirklich leid, Lola. Ich hab seiner Tochter ganz sicher die richtigen Nummern gegeben. Falls du dich das fragst. Ich habe sie zwei Mal wiederholt, und sie hat sie mir vorgelesen.«
»Ist schon gut, Darling. Er ist ein alter Mann. Fast so alt wie ich. Vielleicht durchforstet er noch immer sein Gedächtnis und fragt sich, wer wohl diese Lola ist. Er wird sich schon melden, da bin ich mir sicher.«
Das war sie überhaupt nicht. Sie war sich nur bei einem sicher – sie würde nicht anrufen. Sie könnte es nicht ertragen, falls die Reaktion nicht gut ausfallen würde, falls er kühl oder distanziert wäre. Denn dann würde sie sich wie damals fühlen, als er nach Italien zurückgegangen war. Wenn er anrufen wollte, würde er das tun. Wenn nicht, dann nicht. Es war ganz einfach. Nur leider wurde ihr mit jeder weiteren Stunde deutlicher, dass er nicht anrufen wollte. Was blieb ihr also anderes übrig, als mit seiner Entscheidung zu leben, so wie vor all den Jahren auch?
Sie schob die Gedanken an Alex, so gut es ging, beiseite und wählte noch einmal Ellens Nummer. Sie plauderte eine Weile mit Glenns Haushälterin, dann kam ihre Enkelin an den Apparat. »Hi, Lola, wie geht es dir?«
»So gesund wie ein Fisch im Wasser, Darling.« Lola hatte sich einst vorgenommen, Ellen gegenüber immer aufrichtig zu sein. Und das war sie auch jetzt. »Ellen, ich will gleich zur Sache kommen. Ich rufe an, weil ich vermute, dass sich deine Weihnachtspläne ändern werden. Aber du musst mir glauben, dass ich das nicht von Anfang an im Hinterkopf hatte, dass ich dich nicht dazu verleiten wollte, Weihnachten doch nicht herzukommen und mit deinem Vater zu verreisen. Das schwöre ich. Das Ganze kommt auch für mich völlig überraschend.« Sie erklärte Ellen, dass alle ihre Weihnachtsgäste abgesagt hatten und sich damit auch die Notwendigkeit einer Küchensklavin erübrigte. »Ich will dich unbedingt sehen, meine allerliebste Ellen, aber ich möchte nicht, dass du hier im Motel umherirrst und außer mir keine Unterhaltung hast.«
»Aber was, wenn du dann ganz allein umherirrst? Wirst du dich denn nicht einsam fühlen?«
Einsam? Je länger Lola darüber nachdachte, umso stärker wurde die Gewissheit, dass Weihnachten allein im Motel idyllisch und nicht einsam würde. Sie würde an ihren Sohn denken, ihre Enkelinnen, deren Familien, an Ellen, wie sie alle auf ihre Weise an verschiedenen Orten Australiens und der Welt Weihnachten feierten. Sie würde die Füße hochlegen. Den ganzen Tag lang lesen. Fernsehen. Gin trinken. Ja, sie würde sich sogar die Sendungen im Radio anhören, über die sie mit Jim gescherzt hatte. »Ich werde nicht einen Augenblick lang einsam sein, Darling. Das garantiere ich dir. Nicht zu Weihnachten. Zu Silvester, ja, da werde ich mich nach Gesellschaft sehnen. Und darum wollte ich dich fragen, ob du in Erwägung ziehen würdest, deine Reise umzubuchen. Ob du bereit wärst, darüber nachzudenken, nicht doch Weihnachten mit deinem Vater, Denise und Lily wegzufahren und über Silvester zu mir zu kommen? Und sei bitte ehrlich. Sag mir, wie du das siehst, und nach deiner Entscheidung richten wir uns.«
Eine Weile herrschte Schweigen, dann sagte Ellen mit sehr ruhiger Stimme: »Ich glaub, das wäre okay. Wenn ich Silvester zu dir kommen kann.«
»Ich werde für dich die Flagge hissen. Und nicht nur das. Die ganze Familie wird als Empfangskomitee bereitstehen.«
»Und dann muss ich auch nicht spülen, oder?«
»Nicht einen Löffel. Und bist du dir auch
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