Die Frauen von Clare Valley
Weile auf ihre Bank setzen und die kühlere Abendluft genießen.
Nur eines würde sie ganz sicher nicht : ständig auf ihr Telefon starren und hoffen, dass es klingelte.
Den 24. Dezember verbrachte Lola mit ihren Freundinnen aus dem Wohltätigkeitsladen und überwachte die Auslieferung der Pakete. Sie hatten ein Team von Fahrern aktiviert, Männer und Frauen, die ihre Aufgabe diskret und kommentarlos handhaben, das Paket mit einem Lächeln und guten Wünschen überreichen und nicht über die Empfänger urteilen würden. Am Ende hatten sie zweihundertzwanzig Anfragen erhalten und genügend Spenden, um allen gerecht zu werden. Mehr noch, die Pakete quollen regelrecht über, und manche Familien erhielten sogar eine doppelte Weihnachtsfreude. Vielleicht war bei dem einen oder anderen Unaufrichtigkeit im Spiel, doch das war Lola gleichgültig. Die große Anteilnahme der Menschen aus dem Valley hatte das, falls es überhaupt vorgekommen war, wettgemacht.
Als der Tag zu Ende ging, sah sich Lola erneut gezwungen, einen Sturm von Einladungen abzuwehren. Es herrschte allgemeines Entsetzen, dass sie Weihnachten allein verbringen wollte. »Möchtest du nicht wenigstens später ein paar Reste picken?«, fragte eine Ehrenamtliche.
»Wir könnten doch alle ein, zwei Stündchen bei dir vorbeikommen«, schlug eine andere vor.
»Nein!«, rief Lola. »Nein, aber lieben Dank«, verbesserte sie sich rasch. »Für mich ist das ein Experiment. Ich will sehen, ob ich an Weihnachten auch dann zu viel esse, wenn ich allein bin. Ein Überraschungsbesuch würde meine sorgsamen Berechnungen durcheinanderbringen.«
»Aber du rufst an, falls du dich einsam fühlst?«, fragte Kay noch einmal beim Abschied.
»Ganz sicher«, sagte Lola. Ganz sicher nicht.
An jenem Abend schaute sie bewusst nicht auf ihr Telefon. Es änderte nichts. Dass Alex sich dagegen entschieden hatte anzurufen, war mittlerweile deutlich. »Auch gut«, sagte sie laut. Und versuchte, die innere Stimme zu ignorieren, die ihr sagte, dass es nicht gut war.
Am nächsten Morgen erwartete Lola ein sonniger, heißer Tag. Heißer noch als vorhergesagt. Schon als sie die Vorhänge aufzog, spürte sie die Hitze. Auch der unruhige Wind war wieder da. Die Eukalyptusbäume auf den Hügeln ringsum schwankten und wankten. Das war ein Tag für klimatisierte Innenräume.
Also tat Lola, wozu sie Lust hatte, und ließ, wozu sie keine hatte. Sie zog sich erst mittags an. Schaute einen Film im Fernsehen. Aß ihre Käsesandwiches. Nahm die Anrufe von Familie und Freunden entgegen und fasste sich sehr kurz. »Mir geht es gut. Ich bin rundum glücklich. Und jetzt legt auf und amüsiert euch.« Alle klangen heiter und vergnügt. Was Lola sehr freute.
Ellen rief von der Insel an. Auch sie klang fröhlich.
»Gefällt es dir?«, fragte Lola. »Geht es einigermaßen?«
»Es ist super«, sagte Ellen. »Wir hatten schon Bescherung, waren schwimmen, gleich gibt es Mittagessen und danach Brettspiele. Dad und ich gegen Denise und Lily.«
Es war schwer, diese Ellen mit der Giftspritze von vor vierzehn Tagen in Einklang zu bringen. »Ich bin sehr stolz auf dich.«
»So weit, so gut«, sagte Ellen heiter. »Solange sie mich beim Spielen gewinnen lassen.«
Dass Ellen doch noch nicht zur Heiligen geworden war, hörte Lola insgeheim gern.
»Du schickst mir aber ein Foto von deinem Weihnachtsoutfit, oder?«
»Aber natürlich«, versprach Lola. »Das tue ich doch immer.«
Es war schwierig, das Foto überhaupt zu machen. Sonst hatte sie immer Bett oder Carrie als Fotografin rekrutiert. Lola unternahm zwei Versuche mit dem Selbstauslöser und bekam beide Male nur den Teppich aufs Bild. Schließlich fotografierte sie sich im Spiegel. Das Bild war nicht perfekt – der Gesamteffekt litt darunter, dass das Gesicht durch die Kamera verdeckt war, doch einen Eindruck würde Ellen so bekommen. Lola war sehr stolz auf ihr Outfit. Hätte sie Mrs Kernaghans E-Mail-Adresse gehabt, sie wäre in Versuchung geraten, auch ihr das Bild zu schicken. Schließlich hatte sie sich von Mrs Kernaghans Schaufenster inspirieren lassen. Zumindest bei der Farbwahl.
Lola trug einen langen, grünen Rock aus fließendem Satin, der – wenn auch nicht von ihrer Hand – mit roten Sternen bestickt war. Dazu hatte sie ein mehrfarbiges Oberteil aus Chiffon sowie einen sehr breiten, sehr langen silbernen Schal kombiniert, der als Gürtel diente. Als Schmuck trug sie am einen Arm grüne, am anderen rote Reifen, an den Ohren funkelte es
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