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Die Frauen von Clare Valley

Die Frauen von Clare Valley

Titel: Die Frauen von Clare Valley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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erhöhtem Puls und geballten Fäusten – eher aus Verzweiflung denn aus Wut – fiel es ihm schwer, Ruhe zu bewahren. Er zählte bis zehn. Versuchte, gelassen und gefasst zu sprechen.
    »Ellen, bitte. Denk doch wenigstens darüber nach. Ich möchte, dass wir beide Weihnachten mit Denise und Lily feiern. Das würden schöne Tage. Das weiß ich.«
    »Na dann los, dann mach’s dir schön. Ich komme nicht mit.«
    »Ich kann dich hier doch nicht allein lassen.«
    »Mir doch egal.«
    »Sicher. Klar. Als ob ich ein zwölfjähriges Mädchen über Weihnachten allein lassen würde.«
    »Wieso denn nicht? Ich bin dir doch sowieso egal.«
    »Na schön. Gut. Dann lass ich dich zu Weihnachten allein. Und was hast du vor? Willst du dich weiter in deinem Zimmer verbarrikadieren? Da verhungern?« Wieder fuhr er zusammen. Warum rutschten ihm heute ständig die falschen Worte heraus? Einen Monat zuvor, auch nach einem Streit um Denise, hatte Ellen zwei Tage lang das Essen verweigert. Aus Sorge, dass sie auf eine Essstörung zusteuerte, hatte Glenn sie zu einem Arztbesuch überreden wollen, doch dann hatte sie von selbst wieder normal gegessen.
    Nun schwieg sie bereits so lange, dass sich Glenn fragte, ob sie sich ins Bett verkrochen hätte. Er wollte schon gehen, da hörte er ihre Stimme durch die Tür, kläglich, leise.
    »Ich will meine Mami.«
    In dem Moment fiel alle Wut von ihm ab. Seine Schultern sanken nach unten, seine Hände lösten sich. Er lehnte die Stirn an die Tür. »Ich weiß doch, mein Liebling, ich weiß.« Sie begann zu weinen. »Ellen, bitte mach die Tür auf. Komm raus und sprich mit mir. Komm in meine Arme. Denise und Lily sind jeden Moment …« Wieder ganz falsch.
    Das Weinen hörte auf. »Das ist mir egal, wie oft soll ich das noch sagen! Die will ich nie wieder sehen, und Weihnachten will ich mit denen auch nicht feiern! Niemals!«
    Er brauste sofort wieder auf. Vorbei war es mit Verständnis und Geduld. »Na schön, Ellen, na schön. Du hast dich deutlich ausgedrückt. Wenn du es so haben willst, dann trag die Konsequenzen. Dann wird niemand Weihnachten mit Denise und Lily feiern. Du hast gewonnen. Wir bleiben hier und machen uns einen wunderbar einsamen Tag. Ich kann nur hoffen, dass du damit glücklich bist, weil dich offenbar gar nichts glücklich macht!«
    Auf seinen Ausbruch folgte Schweigen. Glenn wurde von einer heißen Wut durchfahren, gepaart mit Selbstvorwürfen. O ja, er war wirklich der Erwachsene in der Beziehung. Er legte die Hände an die Tür, holte tief Luft und sagte dann weit gefasster: »Ellen, ich bin es so leid. Tag für Tag nur Streit. Ich kann nicht mehr, für heute Abend reicht es mir. Dann bleib in deinem Zimmer, Ellen. Bleib da drin, bis dir bewusst wird, wie verletzend und selbstsüchtig dein Benehmen ist«, er zögerte nur einen Augenblick, »und was deine Mutter dazu gesagt hätte. Denk gut darüber nach.«
    Sie schnappte hörbar nach Luft, dann folgten weitere Tränen. Er war zu weit gegangen. Glenn fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ellen?« Keine Antwort. »Ellen?« Nichts. »Es tut mir leid. Es tut mir leid, ich hätte das nicht sagen sollen. Aber …« Ihm gingen die Worte aus. Er ließ die Hand noch eine Weile an der Tür liegen. Es hatte keinen Sinn zu klopfen, keinen Sinn, sich zu bemühen, Ellen zur Vernunft zu bringen, und erst recht nicht, ihre Tränen zu stillen. Er musste sich geschlagen geben. Er setzte sich ins Wohnzimmer und schaute auf die Stadt.
    Denise würde jeden Augenblick eintreffen. Er hatte ihr zugesichert, dass mit Ellen alles in Ordnung käme, dies bloß eine Phase wäre. Denise hatte sich, zwar ein wenig nur, doch spürbar zurückgezogen. Vielleicht beschlichen sie allmählich Zweifel, an ihm, an ihrer Beziehung, vielleicht war ihr das doch zu problematisch, die Sache nicht wert. In dem Moment ging ihm auf, wie viel ihm Denise bedeutete. Er wollte sie nicht verlieren. Er wollte Ellen nicht verstören. Er befand sich in einer misslichen Lage. Machte er die eine glücklich, brachte er die andere gegen sich auf. Was hatte er nicht gerade wieder für ein Schlamassel angerichtet.
    Du liebe Güte. Er stand auf und goss sich ein Glas aus der Flasche ein, die für Denise kalt stand. Er war Geschäftsmann. Er leitete ein vierzigköpfiges Team, das ihm effizient und profitabel zuarbeitete. Die Büros in Singapur, Kuala Lumpur und Sydney hatte er nicht minder erfolgreich geführt. Er galt als schneller Entscheider, verlässlicher Partner, hart, aber gerecht.

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