Die Frauen von Clare Valley
von Clare, legte den Hörer auf und fluchte leise. Wo steckte Carrie denn? Sie musste ihre Schwester dringend um einen Gefallen bitten. Das hatte es noch nie gegeben. Doch in diesem Moment blieb ihr gar nichts anderes übrig. Die Freundin, die sie schon vor einer Woche als Babysitterin verpflichtet hatte, hatte gerade angerufen und sich hundertmal entschuldigt. Ihre betagte Mutter hatte sich den Knöchel verstaucht und musste ins Krankenhaus. »Aber natürlich hab ich dafür Verständnis«, hatte Bett gesagt und ihrer Freundin versichert, sie würde problemlos Ersatz finden.
Aber wen? Carrie wäre die einfachste Lösung. Auch wenn Bett ihr nicht sagen konnte, weshalb sie einen Babysitter brauchte. Sie würde einen Arzttermin vorschieben, entschied sie, als sie es ein zweites Mal bei ihrer Schwester versuchte. Wieder vergeblich.
»Mist«, sagte sie so laut, dass Yvette, die mit großen Augen und wie stets hellwach in ihrer Babyschaukel saß, erschrocken aufschaute. Zach, in seinem Stühlchen, war fast eingeschlafen, die Augenlider flatterten. »Tut mir leid, ihr Süßen«, flüsterte Bett. »Mami ist nicht böse, wirklich nicht.«
Sie schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer und wählte die Nummer ihrer Nachbarin. Wahrscheinlich hätte sich Bett auch hinter das Haus auf den verdörrten Rasen stellen und Jane einfach rufen können. An heißen Tagen wanderte der Schall besonders gut. Als Jane ans Telefon ging, stieß Bett ein Dankgebet aus. Ihre Nachbarin war ebenfalls Hausfrau und Mutter, doch anders als Bett war sie selten zu Hause, sie befolgte mit ihrer Tochter einen strammen Stundenplan aus Spielgruppen und Unternehmungen.
»Natürlich kann ich auf die Zwillinge aufpassen«, sagte Jane, noch ehe Bett ihr Anliegen vollständig vorgetragen hatte. »Ich komme gleich rüber.«
Bett wäre ihrer Nachbarin am liebsten um den Hals gefallen, als eine lächelnde Jane mit ihrer ebenfalls lächelnden dreijährigen Tochter Lexie eintraf. Bett machte das Zeichen für Hallo, was mit einer raschen Bewegung der kleinen Finger erwidert wurde. Dann machte Lexie ein weiteres Zeichen. Bett sah fragend zu Jane, die es übersetzte.
»Lexie will wissen, wie’s dir geht.«
Bett streckte den Daumen hoch, Lexie tat es ihr mit einem breiten Lächeln nach.
»Ich bin dir ja so dankbar, Jane!«, rief Bett einen Moment später vom Schlafzimmer aus, wo sie versuchte, den Reißverschluss an ihrem guten Sommerkleid zuzuziehen, das sie auf einem Stapel entdeckt hatte. »Die Zwillinge sollten jetzt eigentlich schlafen, aber wenn …«
Jane fiel ihr ins Wort. »Wenn sie wach werden, würde ich dann eventuell nach ihnen sehen, sie füttern und falls nötig auch die Windeln wechseln?« Sie lachte. »Bett, ich weiß, was Babysitten heißt. Los jetzt. Du siehst aus, als würdest du explodieren, wenn du nicht auf der Stelle hier rauskommst.«
Diesmal nahm Bett sie in den Arm. Fünf Minuten später, nachdem sie mit einer Bürste durch ihre kurzen, dunkelbraunen Locken gefahren war, ihre Kleidergröße 44 verflucht und sich gewünscht hatte, sie sähe wie ihre zierliche, blonde Schwester aus, einen noch nicht völlig leeren Lippenstift gefunden hatte – der zu rot für diese Tageszeit, erst recht für eine völlig übernächtigte Sechsunddreißigjährige war, aber in der Not – und sich erneut umgezogen hatte, weil sie einen Flecken undefinierbarer Herkunft auf der linken Schulter des gelben Kleids entdeckt hatte, war sie mit leicht erhöhter Geschwindigkeit auf dem Weg in die Stadt.
Sie verringerte das Tempo. Es fiel ihr schwer. Sie hatte sich so daran gewöhnt, alles viel zu schnell zu tun. Anziehen, duschen, schlafen – alles in Rekordzeit. Umgekehrt dauerten Dinge, auf die sie am liebsten ganz verzichtet hätte – Heulanfälle, schlaflose Nächte mit zwei unruhigen Babys –, eine Ewigkeit. Bett verstand es nicht. Es war, als ob die Zeit seit sieben Monaten, seit die Zwillinge auf der Welt waren, ihr Wesen verändert hätte.
Jane wirkte so glücklich, so entspannt – und wie gelassen hatten sie und ihr Mann hingenommen, dass ihre Tochter taub zur Welt gekommen war. Sich durch die Diagnose nicht erschüttern lassen. Sie hatten die Gebärdensprache erlernt und sie Lexie beigebracht, als sie im richtigen Alter war. Von Jane hatte Bett noch nie eine Klage oder die bange Frage gehört, wie Lexie wohl das Leben meisterte. Aber Bett? Zwei gesunde Babys, ständig gestresst, ständig in Sorge. Sollte sie nicht ungeheuer dankbar sein? Rundum
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