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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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war. In gewisser Weise fühlte sich diese Enthüllung von Mrs Dees Falschheit, dieser ernüchternde Blick hinter den Vorhang ausgetüftelter Täuschung, von dem Sibyl jetzt wusste, dass er jedes Mal, wenn sie das Haus am Beacon Hill betrat, ihren Verstand umnebelt hatte, tatsächlich an wie ein weiterer Verlust. Im gleißenden Licht der Wahrheit, das die wahren Mechanismen der Täuschung beleuchtete, blieb ihr auf einmal jenes Reich der Sicherheit, der Anonymität und der Geborgenheit verschlossen. Sich so gründlich zum Narren zu machen, würde ihr wohl nie wieder passieren.
    Die Frau richtete ihren bohrenden Blick auf sie. » Sie müssen verstehen « , sagte sie fast flüsternd. » Es stand mir vollkommen fern, Sie zu verletzen. Ich höre tatsächlich Geister, wissen Sie, das war immer schon so. Den Rauch habe ich immer gesehen, aber ich konnte nie hindurchschauen. Sie sprechen manchmal so leise. Sie dürfen nicht glauben, nur weil ich ein paar Glöckchen und Pfeifen hinzugefügt habe, um die Wirkung zu erhöhen, hätten Ihre Erfahrungen mit mir keine Bedeutung. «
    Sibyl schluckte und zog die Brauen noch finsterer zusammen, weil sie sich nicht sicher war, was sie auf diese Aussage, die alles andere als eine Entschuldigung war, entgegnen sollte. Das Medium erhob sich auf die Zehenspitzen und näherte seine Lippen Sibyls Ohr. Gefügig neigte Sibyl ein wenig den Kopf, um den letzten Worten zu lauschen, die Mrs Dee jemals zu ihr sagen würde.
    » Ich wusste, dass auch Sie sehen können « , wisperte die Frau so leise, dass es für Sibyl fast den Anschein hatte, als höre sie dieses Flüstern nur in ihrem Kopf. » Lassen Sie sich von niemandem sagen, was die Wahrheit ist, wenn Sie es wissen. «
    Sibyl zog den Kopf zurück und blickte erschrocken auf das falsche Medium hinab. Ihr Mund verzog sich, während sie überlegte, wie sie reagieren sollte. Mrs Dee hielt ihrem Blick noch einen weiteren Moment stand, nickte einmal, als wollte sie sagen: Sie wissen, was ich sage, stimmt und trat dann zurück, ließ Sibyls Hände los.
    Sibyls Zustand verträumter Verwirrung fand ein abruptes Ende, als Professor Friend verkündete: » Nun, ich denke, wir haben alles gesehen, was es hier zu sehen gibt. Kommen Sie jetzt, Miss Allston. Es wird spät. Ich bin mir sicher, zu Hause wartet man auf Sie, und ich muss morgen früh raus. «
    » Ja, « sagte Benton, der sie noch immer behutsam am Ellbogen hielt. » Sibyl, lassen Sie uns gehen. «
    Die beiden Männer traten auf die Tür des Salons zu, und Sibyl ließ es zu, dass man sie wegbrachte, denn sie war nach wie vor unsicher auf den Beinen, was sowohl die Nachwirkung des Hustensafts als auch die ihrer sonderbaren Trance während der Séance war. Mrs Dee sah ihrem Abgang zu, während der Butler schweigend hinter ihr Wache hielt.
    » Madam « , sagte Professor Friend, » es war ein sehr erhellender Nachtmittag. Ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft. «
    Mrs Dee gab keine Antwort, sondern blähte nur entrüstet die Nasenflügel. Benton warf ihr einen finsteren Blick zu und gab sich gar nicht erst die Mühe, seinen Groll zu verbergen, während er schützend einen Arm um Sibyls Schultern legte.
    Sibyl schlüpfte in ihren Mantel und setzte den Hut auf. Sie fühlte sich seltsam entrückt, als wäre der Nachmittag jemand ganz anderem widerfahren als ihr selbst. Während die beiden Männer ein Automobil anhielten und sie aus der Haustür des Mediums verfrachteten, schaute Sibyl zum allerletzten Mal über ihre Schulter zurück in den Salon. Der Butler schloss gerade die Tür, und Sibyl warf einen Blick auf die kleine Frau, deren Vornamen sie, wie ihr erst jetzt bewusst wurde, nicht kannte und vor der sich nun ganz allmählich die Schiebetür schloss. Kurz bevor das Medium nicht mehr zu sehen war, trafen sich ihre Blicke, und Sibyl glaubte zu erkennen, wie die Lippen des Mediums die Worte bildeten: Ich weiß, dass Sie sehen.
    Und dann war sie fort.
    Während sie bei hereinbrechender Dunkelheit in der Kraftdroschke den Common entlangrumpelten, plauderten Benton und Edwin miteinander, um das Erlebte zu verarbeiten. Sibyl starrte aus dem Fenster, ruhelos und verstört.
    » Da haben wir’s wieder « , bemerkte Benton gerade. » Das sind doch alles nur raffinierte Schwindler. Auf eine perverse Weise faszinierend, diese ganze Psychologie von ihr. Ich möchte gar nicht abstreiten, dass sie ein gewaltiges persönliches Charisma hat, aber dafür könnte man durchaus auch eine Persönlichkeitsstörung

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