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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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Liebe zu Ihrer Familie und Ihre Trauer um die verlorenen Angehörigen schamlos ausgenutzt. Sie ist nichts anderes als ein Aasgeier. « Er wandte sich Mrs Dee zu, auf dem sonst so freundlichen Gesicht einen angewiderten Ausdruck der Missbilligung. » Wenn ich ehrlich bin, hatte ich selten die Gelegenheit, den Ausdruck niedrigerer Instinkte zu sehen als hier. Ich hätte gute Lust, die Behörden zu informieren. Obwohl ich fürchte, wenn diese Einkünfte nicht offiziell angegeben wurden, haben wir juristisch nur wenig in der Hand. «
    » Nein, natürlich war hier nichts offiziell! « , fauchte Sibyl. Sie klappte knallend den Deckel der Schachtel mit der Kristallkugel zu und schob sie in ihre Tasche. » Alles wird in diesem Metier immer nur angedeutet. Ich kann nicht glauben, wie dumm ich war. «
    » Aber begreifen Sie denn nicht? « , fragte Mrs Dee ruhig. » Dass das alles nicht den geringsten Unterschied macht? «
    » Wie bitte? « , fragte Sibyl. Die Wut brannte tiefrot auf ihren Wangen. » Wie können Sie das nur sagen? «
    Benton legte beruhigend eine Hand auf Sibyls Ellbogen und machte ein Geräusch mit den Lippen, mit dem er offenbar – wenngleich vielleicht unbewusst – ihre aufbrausende Wut zügeln wollte.
    » Bedenken Sie doch nur « , sagte Mrs Dee hart und unnachgiebig. Ihre Fingerspitzen ruhten reglos auf der Tischplatte. » Wir alle haben doch ein unterschiedliches Verständnis von dem, was authentisch ist und was nicht. «
    » Sie sind mir die Richtige, von authentisch zu reden « , grollte Benton. Er verstärkte den Druck auf Sibyls Ellbogen und begann, sie zur Tür zu schieben. Sie blieb noch zurück, gespannt darauf, was diese kleine Frau wohl noch ins Feld führen mochte.
    » Was meinen Sie? « , erkundigte sie sich.
    » Wonach haben Sie gesucht, als Sie hierherkamen? « , fragte sie und ließ Sibyl nicht aus den Augen.
    » Ich wollte … « begann Sibyl, führte ihren Satz jedoch nicht zu Ende.
    Wonach hatte sie gesucht? Nach der Gewissheit, dass es ihrer Mutter und Schwester gut ging. Und vielleicht hatte sie sich eine Art Absolution gewünscht. Sibyls Kummer und ihre Trauer lasteten auf ihr wie Blei, und ihr allumfassendes Schuldgefühl tat dazu noch ein Übriges. Sie fühlte sich schuldig dafür, dass sie nicht bei Helen und Eulah gewesen war, als das Schiff unterging. Schuldig auch dafür, dass sie es ihnen übel genommen hatte, die Reise ohne sie gemacht zu haben, und für ihre insgeheime Erleichterung darüber, selbst noch am Leben zu sein. Vielleicht hatte sie aber auch nach einer Erlaubnis gesucht. Sie war zu den Séancen gekommen, um die Erlaubnis zum Leben zu erhalten.
    Sibyl schaute dem Medium ins Gesicht und sah, dass Mrs Dee sehr wohl wusste, was Sibyl gesucht hatte, und dass sie sie nicht dafür verurteilte. Mrs Dees Gesicht wurde weicher, und ein feines Lächeln umspielte ihre geschürzten Lippen.
    » Haben Sie denn nach einer wirklichen Erfahrung gesucht? « , fragte Mrs Dee. » Oder wollten Sie in Ihrem Kummer nur Trost? Und was ist, Ihrer Meinung nach, wichtiger? «
    Sie machte eine Kunstpause, nicht nur für Sibyl, sondern auch für die beiden Professoren. Benton und Edwin wechselten einen bedeutungsvollen Blick.
    Mrs Dee fuhr fort, ohne erregt oder schuldbewusst zu wirken: » Ich biete leidenden Menschen Unterstützung an, das ist alles. Und was macht es am Ende für einen Unterschied, welche Methoden ich dabei benutze? Worauf es wirklich ankommt, ist, dass die Unterstützung, die Sie in diesen vier Wänden gefunden haben, real ist. «
    Die Frau trat hinter ihrem trickreich präparierten Séance-Tisch hervor und kam auf Sibyl zu. Diese erstarrte, als Mrs Dee sich näherte, während sich eine Mischung aus Wut und Bitterkeit in ihr breitmachte. Sibyl wappnete sich gegen die physische Nähe eines Menschen, der ihr Vertrauen missbraucht hatte. Dennoch fragte sie sich, ob das Medium noch einen Trumpf im Ärmel hatte. In der Tat: Wenn sie gefunden hatte, was sie suchte, war es dann überhaupt noch von Bedeutung, dass sie es unter falschen Voraussetzungen gefunden hatte? Sibyl runzelte unsicher die Stirn, denn sie hasste es, hinters Licht geführt zu werden. Ihre eigene Leichtgläubigkeit war das Schlimmste von allem.
    Langsam kam die winzige Frau näher und ergriff Sibyls Hände. Mrs Dees Hände fühlten sich zerbrechlich und klein an, ja gar beruhigend, und Sibyl empfand zum letzten Mal dieses Gefühl tiefer Erleichterung, das in Mrs Dees Gesellschaft zu finden sie längst gewohnt

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