Die Frauen von der Beacon Street
Teetasse allein gelassen werden. Er war wie in Trance. Vielleicht waren es ja wirklich Pfeifenträume, aber alles, was er sah, passte genau in den Plan, den er sich unter Anleitung seines Vaters in den Monaten, bevor das Schiff in den Fernen Osten in See gestochen war, zurechtgelegt hatte. Er würde seine Zeit auf der Morpheo abdienen, etwas Geld verdienen. Dann würde er älter und erfahrener nach Hause zurückkehren, um in Cambridge aufs College zu gehen. Nach Harvard würde er ein eigenes Kommando auf einem Handelsschiff bekommen und sich damit ein Vermögen erarbeiten. Sich einen Namen machen.
Und eines Tages würde er dieses bildhübsche Mädchen kennenlernen. Wer war dieses Mädchen eigentlich?
So versunken in seinen Plänen, brummte Lannie Johnny nur eine unzusammenhängende Antwort zu. Er wollte mehr sehen. Er wollte alles sehen, was die See aus seinem Leben machen würde.
» Eigentlich sagt eine Uhr doch gar nichts über die Zeit aus « , grübelte der Student gedankenverloren.
» Hm? « , sagte Lannie irritiert. Langsam wurde es schwierig, das Bild in der Teetasse zu erkennen. Er musste sich konzentrieren, sonst funktionierte es nicht. Was auch immer dieses » Es « war. Er wünschte, der junge Chinese würde ihn nicht ständig ablenken.
» Es ist sinnlos zu wissen, welche Zeit jetzt ist « , beharrte Johnny. Seine Opiumration war offenbar aufgebraucht, denn er wurde immer gesprächiger. » Die Kenntnis der Vergangenheit macht einen Menschen weise. Die Kenntnis der Zukunft, nun « , er lachte, » könnte ihn reich machen. Aber glücklich macht ihn keins von beiden. «
» Du glaubst nicht, dass es glücklich macht, wenn man weise und reich ist? « , fragte Lannie, ein Auge nach wie vor auf das Teeglas gerichtet. Was Johnny da redete, ergab für ihn überhaupt keinen Sinn.
» Yankee mit dem falschen chinesischen Namen « , sagte der Student, lugte über die Bettkante und schaute in Lannies Gesicht. » Nur die Gegenwart kann dich glücklich machen. Zu viel Aufmerksamkeit auf der Vergangenheit und der Zukunft nimmt das Jetzt weg. Und wenn es erst mal weg ist, kriegst du es nie wieder. «
Lannie lachte und schüttelte den Kopf. » Du bist verrückt, weißt du das? «
Der Kopf des Studenten zog sich wieder in seine Koje zurück. » Vielleicht « , murmelte er. » Vielleicht aber auch nicht. «
Lannie zog den Zeitmesser aus seinem Versteck und starrte ihn an, als könnte allein ein Blick darauf seinen Bekannten widerlegen. Doch etwas stimmte nicht. Er kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen. Es bereitete Lannie Probleme, die Uhrzeit abzulesen. Gott weiß, was für Gifte durch seine Adern gespült wurden, die seine Körpersäfte durcheinanderbrachten und sein Gehirn umnebelten. So sehr er es auch versuchte, er wurde nicht schlau aus dem Zifferblatt des Chronometers. Mit einem ärgerlichen Seufzer steckte er den Zeitmesser an seinen Geheimplatz unter seiner Achselhöhle zurück. Wenn er gleich einnickte, dann sollte er ihm wenigstens nicht gestohlen werden, bevor er überhaupt Gelegenheit bekam, das Chronometer auf See auszuprobieren.
Grübelnd schwenkte er wieder die Flüssigkeit in seinem Glas und beobachtete, wie sich die Muster der Teeblätter mit der Bewegung veränderten. » Johnny? « , fragte er, ohne den Blick abzuwenden.
» Hm? «
Kaum hatte er den Namen seines Begleiters gesagt, veränderte sich die Anordnung der Blätter erneut, und das Bild wurde wieder klar. Er sah Johnny, in denselben Kleidern, die er jetzt trug, beim dünnen Licht des frühen Morgens. Ein Streit. Eine Zuschauermenge hatte sich versammelt. Jemand trat nach vorn und versetzte ihm einen Schubs an der Brust. Die Gruppe schrie wie die johlenden Zuschauer bei einem Faustkampf. Johnny schubste zurück, und die Menge rückte näher, feuerte die beiden Streithähne an.
Dann legte der andere Mann die Hände um Johnnys Hals. Die Hände drückten zu, und Johnnys Gesicht wurde kirschrot. Seine Finger krallten sich um die Hände des anderen Mannes, und seine Füße trommelten auf den Boden.
» O mein Gott! « , schrie Lannie.
» Du solltest nicht Gottes Namen im Mund führen, Yankee « , grummelte Johnny von seiner oberen Schlafkoje aus. » Unchristlicher Barbar. «
» Hör auf damit! « , schrie Lannie, der sich vergaß, denn er sprach zu den Gestalten, die er im Glas sah.
In dem Moment, als die Worte seinem Mund entwichen, veränderte sich die Szenerie. Jemand durchbrach die Menge, die sich um die beiden rangelnden Männer
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