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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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anzuschauen, doch die notdürftig verstaute Haarsträhne, die sich unter der fehlenden Haarnadel gelöst hatte, fiel ihr in die Augen, und so legte sie schläfrig den Kopf wieder zurück.
    » Weißt du, das ist seltsam, Benton. Ich könnte immer noch nicht sagen, ob du mir eigentlich glaubst, dass das, was ich sehe, wahr ist. «
    Er legte seinen Füllfederhalter beiseite und rieb sich unter der Brille über die Augen. Dann ließ er die Hände auf den Labortisch sinken und sah sie an.
    » Ich kann es auch nicht sagen « , gestand er. » Ich bin zutiefst erschüttert darüber, dass Edwin wahrscheinlich gestorben ist, auch noch auf solch tragische und ungewöhnliche Weise, und es erstaunt mich, dass du seinen Tod möglicherweise vorausgesehen hast. Verstandesmäßig weiß ich natürlich, dass das unmöglich ist. Und nun hat sich deine Vision verändert. Mein Verstand sagt mir, dass die Veränderung nur auf Beeinflussbarkeit zurückzuführen ist, auf die Veränderungen in deiner Psyche aufgrund von Schock und nervöser Anspannung. Mein Herz jedoch … « Er verstummte und blickte an Sibyl vorbei auf einen Punkt irgendwo in der Ferne.
    Sibyl legte die Hand auf seinen Unterarm. Die Berührung brachte ihn wieder zu sich, und er nahm den Stift zur Hand, wandte sich seinen Notizen zu und ließ seinen unvollendeten Gedanken im Raum stehen.
    » Also dann « , sagte er. » Einer der Gründe, warum paranormale Fähigkeiten so schwer zu testen sind, ist der, dass sie oft außerhalb von Laborbedingungen zum Ausdruck kommen. Sie manifestieren sich zum Beispiel im Salon eines Mediums, in dem sich, wie du weißt, allerhand raffinierte Hilfsmittel verbergen können. Zudem ist der Proband von Menschen umgeben, die ein klares Interesse am Ergebnis haben, was das Subjekt, bewusst oder unbewusst, dazu veranlassen kann, sich auf eine Weise zu verhalten, die den Zuschauern behagt. Außerdem kann ein naives Subjekt in einer solchen Umgebung … «
    » Naiv! « , schnaubte sie empört.
    » Das ist keine Beurteilung deines Charakters « , versicherte er ihr. » Es bedeutet in diesem Fall nur, dass du nicht aktiv versuchst, den Wissenschaftler hinters Licht zu führen. Das tust du doch nicht, oder? « Er lächelte sie in verschwörerischer Heiterkeit an und stupste sie unter dem Labortisch mit dem Fuß an.
    » Natürlich nicht. « Sibyl richtete sich in ihrem Stuhl auf.
    » Na gut, wie gesagt, liegt die Herausforderung darin, das Experiment in einer kontrollierten Umgebung stattfinden zu lassen, in der kein Raum für Beeinflussung ist. Und in deinem Fall ist es natürlich auch eine Frage der … « Er unterbrach sich.
    » Der was? « , drängte sie.
    » Nun « , erwiderte er. » Der Dosierung. «
    » Aha. « Sie blickte auf ihre Hände hinab. Sie zitterten. Ein ganz kleines bisschen.
    » In dem Buch wird die These aufgestellt, während die meisten Menschen unter dem Einfluss einer starken Dosis von Opiaten lebhafte Fantasievorstellungen hätten, gebe es auch einige wenige, die zu ungewöhnlicher Selbsterkenntnis gelangen. Was eine interessante Frage aufwirft. «
    » Ja? « , meinte Sibyl unsicher.
    » Die Frage ist, was genau siehst du denn? In welcher Beziehung zu dir selbst stehen diese Ereignisse, wenn es denn welche sind? « Er betrachtet sie aufmerksam.
    Sibyl knetete die Finger in ihrem Schoß. » Ich weiß nicht « , antwortete sie kleinlaut.
    » Na gut. Vielleicht ist das etwas, was wir noch herausfinden werden. Bist du bereit? « , fragte er.
    Sibyl straffte die Schultern und schob sich die widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. » Ja. Ich bin bereit. «

INTERLUDIUM
    Shanghai, Altstadt
    8. bis 9. Juni 1868
    D as bin ich « , keuchte Lannie.
    Dort inmitten der Teeblätter sah er sich selbst; er trug die Kleider, die er auch jetzt anhatte, breitbeinig stand er da und hielt ein tropfendes Messer in der Hand. Mit dem linken Arm wischte er sich über die Stirn, verschmierte sie. Lannies blassblaue Augen verfärbten sich zu einem unheimlichen, tieferen Blau. Zu seinen Füßen lagen zwei Männer, einer zusammengerollt, mit zuckenden Beinen, der andere, Johnny, reglos auf dem Bauch ausgestreckt.
    Lannie starrte in sein Teeglas, erfüllt von Entsetzen und dem dringenden Wunsch, das zu ändern, was er gerade gesehen hatte. Er kniff die Augen zusammen, doch die Vision hatte sich hinter seinen Lidern eingebrannt.
    » Hm? « , fragte jemand von oben.
    Lannie zwang sich, ein Auge zu öffnen. Der Arm des Studenten baumelte über die Kante des

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