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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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Bettes.
    » Ich hab dir doch gesagt, du sollst dich nicht zu lange im Pfeifentraum aufhalten. Ist nicht immer nur schön. «
    » Aber du verstehst nicht « , erhob Lannie Einspruch. Seine Hände hielten die Teetasse so fest umklammert, dass seine Fingerknöchel weiß wurden.
    » Nein, sag es mir nicht « , erwiderte der junge Chinese und ließ seinen Arm hin und her pendeln. » Ich habe kein Bedürfnis danach, in die verdrehte Seele eines Yankee-Barbaren zu blicken. Ganz und gar nicht. «
    » Es schien mir alles so real … « Lannies Stimme verebbte. Johnnys Arm verschwand, tauchte wieder auf.
    » Das ist das Komische am Mohngenuss « , sinnierte der Student. » Die Grenzen zwischen dem, was real ist und was nicht, sind fließender, als wir erwarten. « Er dachte schweigend nach, als müsse er abwägen, ob er noch mehr sagen sollte. » Einmal habe ich mich zu lange in einem Pfeifentraum aufgehalten. Ich sah, wie das Haus meines Vaters in einem gewaltigen Feuerball explodierte. Ich hörte meine Mutter schreien. Und ich sah, wie meine Schwester mit brennendem Haar aus dem Haus gelaufen kam. Ich schrie und weinte, weil ich felsenfest davon überzeugt war, dass das alles real ist. Stundenlang war ich untröstlich. Sie warfen mich aus der Opiumhöhle, weil ich Unruhe unter den anderen stiftete. Blind vor Kummer, irrte ich in den Straßen umher. «
    » Und, ist das Haus deines Vaters wirklich in die Luft geflogen? « , fragte Lannie mit einer Stimme, die ihn an seine Kinderzeit erinnerte.
    » Natürlich nicht. Er lebt heute noch, in demselben schönen Haus wie immer. Verbringt seine Tage damit, Geld zu scheffeln und sich zu fragen, warum ich noch nicht geheiratet habe. Es ist einfach nur ein Traum. Den du irgendwo aus deinem Inneren abrufst. Leicht verändert. Schau noch mal hin, dann wirst du sehen, was ich meine. «
    » Das könnte ich nicht « , sagte Lannie mit brechender Stimme. » Es ist einfach zu schrecklich. Ich kann es nicht ertragen. «
    » Unsinn « , erwiderte der junge Chinese. » Schau noch mal hin. Halte das Glas diesmal vielleicht anders. Das verändert den Blickpunkt. «
    » Was meinst du damit, es verändert den Blickpunkt? «
    » Parallaxe « , sagte die Stimme von oben. » Mann, du musst ja ein grauenvoller Navigator sein. Erinnere mich daran, nie an Bord zu gehen, wenn du am Steuer stehst. «
    Stirnrunzelnd blickte Lannie wieder in sein Teeglas. Parallaxe. Die scheinbare Änderung der Position eines Objekts, wenn der Beobachter seine eigene Position verschiebt. Das war ein wichtiger Bestandteil der astronomischen Navigation. Er wirbelte den wässrigen Tee am Boden seines Glases auf und beobachtete, wie sich das Licht auf seiner Oberfläche brach. Dieses Mal neigte er das Glas seinem Gesicht zu und verlängerte dadurch die sichtbare Oberfläche des Wassers. Jetzt wirbelten die Blätter in leicht veränderter Weise umher.
    Sie bildeten eine schwarze Wolke, dick und ölig. Dann öffnete sich die Wolke, wie der Vorhang vor einem tableau vivant, und zeigte erneut den Kreis der schreienden Männer, erstarrt wie Insekten in einem Brocken Bernstein.
    » Na, was sagt man dazu « , hauchte Lannie. Er verschob den Winkel um Haaresbreite, und jetzt kam Leben in die Szenerie. Die Männer riefen, feuerten die beiden Streithähne an. Doch etwas war anders: Diesmal ging der andere Mann Johnny nicht an die Kehle. Stattdessen traf Johnnys Faust direkt auf das Kinn des Fremden. Als der Mann von der Wucht des Schlages zurückgeworfen wurde, sah Lannie, dass es Tom war. Der ältere Seemann schwankte, und die Menge grölte begeistert.
    Am Rande der Menge sah Lannie jetzt sich selbst, wie er sich mit der Schulter einen Weg durch die Zuschauer bahnte. Seine Muskeln waren angespannt, weil er es offenbar eilig hatte, den Kampf zu beenden. Doch diesmal hielt man Lannie zurück, und obwohl er sich laut schreiend wehrte, verhallte sein Protest ungehört.
    Johnny, der jünger und schneller war, landete zwei Schläge, wenn Tom einmal traf, doch der Seemann war größer und breiter, ein Muskelpaket von Mann. Er nahm Johnnys Schläge hin, ohne mit der Wimper zu zucken, und mit jedem Hieb wurde das Gesicht des jungen Chinesen röter. Jeder Blutspritzer brachte den Seemann mehr in Rage.
    » Mach schon! « , drängte Lannie sich selbst. » Was glaubst du denn, was du tust? Los! Du musst das stoppen! «
    » Siehst du? « , kam Johnnys Stimme von oben. » Ich hab dir gesagt, dass es sich verändert. «
    Lannie gab keine Antwort. Seine

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