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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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eine Antwort, doch Sibyl nickte bloß.
    » Aber « , fuhr er fort und machte sich wieder an den Papieren auf Friends Schreibtisch zu schaffen, » ein Leben, in dem man nur zurückblickt oder über ein Leben nach dem Tode nachdenkt, ist ein Leben, das keine Bedeutung hat. Edwin glaubte genau das Gegenteil. Er fand, wir sollten versuchen, den Beginn und das Ende eines menschlichen Lebens, seinen Rahmen sozusagen, besser zu verstehen. Offen gestanden bin ich jedoch mehr daran interessiert, was dazwischen passiert. «
    Sibyl hielt das Feuerzeug hoch und ging auf die Zehenspitzen, um Professor Friends Bücher in den oberen Regalen zu inspizieren. » Wie war noch gleich der Titel? Le Sang de Morphée ? « , fragte sie und zog ein schlicht gebundenes Buch von einem Regal hoch oben.
    » Jawohl « , sagte Benton und sah auf. » Hast du es gefunden? «
    » Ich glaube, ja « , antwortete Sibyl, und ihre Augen leuchteten vor Freude. Sie hielt ihm das schmale Bändchen hin, um ihm den Einband zu zeigen.
    » Großartig! « , rief Benton. » Das nehmen wir am besten mit in mein Labor. Wenn wir dort dann jemanden treffen, müssen wir uns wenigstens nicht rechtfertigen. «
    » Du musst dich nicht rechtfertigen « , murmelte Sibyl. » Da fällt mir gerade ein, ist Harley eigentlich nicht aus einem ähnlichen Grund vom College geflogen? Wer hätte gedacht, dass Harvard seinen Studenten mehr Freiräume gestattet als seinem Lehrpersonal? «
    » Ich glaube nicht, dass man die Umstände miteinander vergleichen kann « , grinste Benton.
    Benton versetzte Professor Friends Schreibtischplatte in ihren unberührten Zustand zurück, und die beiden schlichen sich aus dem Büro. In der Tür blieb Benton noch einmal stehen und warf einen letzten Blick auf die Regale und den Schreibtisch. Sibyls Hand lag auf seiner Schulter.
    » Nun « , flüsterte er. » Ich schätze, das genügt so. «
    Sie drückte seine Schulter.
    » Danke, Edwin. Es war mir eine Ehre, mit dir zu arbeiten. « Ihm versagte die Stimme, und er musste sich räuspern.
    Benton und Sibyl schauten sich an, und sie nickte ihm aufmunternd zu. Er verriegelte die Tür wieder, und Sibyl suchte in der Dunkelheit nach seiner Hand. Er nahm sie, sie verschränkten die Finger und spürten den beruhigenden Druck ihrer warmen Handflächen, während sie davoneilten.
    » Und « , fragte Sibyl aus ihrer Armbeuge hervor. Sie hatte den Kopf über dem kühlen Speckstein des Labortisches auf die verschränkten Arme gelegt und döste. Die Rohre in der Psychologischen Fakultät knackten, und dieses Geräusch in dem ansonsten totenstillen Gebäude holte sie wieder ganz zurück ins Bewusstsein. Benton brütete über dem französischen Buch, sprach die Worte lautlos vor sich hin.
    Sibyl seufzte und setzte sich auf.
    » Bist du sicher, dass nicht besser ich es lese? « , fragte sie.
    » Nein, nein « , antwortete er und winkte ab. Dann fuhr er mit dem Lesen fort.
    Sie verschränkte ungeduldig die Arme. » Ich wette mit dir um einen Dollar, dass mein Französisch besser ist. Wetten? « Sie streckte ihm die Hand hin, damit er in die Wette einschlug.
    » Ich bezweifle nicht, dass du recht hast « , sagte er und weigerte sich betont, ihr die Hand zu schütteln. » Aber unglücklicherweise muss, im Interesse des Experiments, ich derjenige sein, der es liest. Du darfst nur so wenig darüber wissen wie möglich. «
    Wieder seufzte sie, betont gelangweilt, und ließ dann den Kopf wieder auf den Tisch sinken.
    » Was ist das denn eigentlich für ein Buch? « , fragte sie. Ihre Stimme drang gedämpft zwischen ihren Armen hervor.
    » Na ja « , meinte er, schlug eine Seite um und machte sich Notizen. » Scheint eine Mischung aus Erfahrungs- und Reisebericht zu sein. Geschrieben, glaube ich, von einem Anthropologen. Veröffentlicht im Jahre 1888. «
    » Hm « , machte sie, und ihre Augenlider wurden schwer. » Und was steht zum Thema Hellsehen drin? «
    » Einige interessante Dinge « , entgegnete er zurückhaltend. » Zum größten Teil führt es die kulturellen Gebrauchsweisen von Opium auf. Es gibt ein langes Kapitel über China. Auch über Indochina. Über die Kriege gegen die Briten im vergangenen Jahrhundert. Afghanistan. Interessanterweise auch Kalifornien, besonders San Francisco. Das hätte ich zuerst gar nicht gedacht, aber natürlich leben dort ziemlich viele Chinesen. Und dann geht es um den Gebrauch. Medizinisch. Spirituell. Zum Vergessen. Zum reinen Vergnügen. «
    Fast hätte Sibyl den Kopf gehoben, um ihn

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