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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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Oder woher ich wusste, dass ich mit der Seefahrt mein Glück machen würde. Und wie ich auch wusste, dass die See mir dereinst meine Frau und meine jüngste Tochter nehmen würde. «
    Als diese Worte an Sibyls Ohr drangen, wich die ganze Luft auf einmal aus ihrer Lunge. Sie saß wie angewurzelt auf ihrem Sessel und versuchte zu verarbeiten, was er ihr da gerade gesagt hatte. Aber sie scheiterte.
    » Wie meinst du das? « , stammelte Sibyl. » Was willst du mir damit sagen, Papa? «
    » Nun, zuallererst einmal habe ich kein Rheuma, wenn du dich das fragst « , erwiderte er mit einem ironischen, aber auch traurigen Lächeln. » Hatte ich nie. Die Laudanum-Tropfen und die anderen Tonika, die man mir verschreibt, nehme ich nur, um die Entzugserscheinungen in Schach zu halten. Und diese Symptome sind schlimm, das kann ich dir versichern. Die Abhängigkeit ist für mich ein Fluch, dem, wie ich fürchte, auch du zum Opfer fallen wirst, wenn wir nicht schnell genug handeln. Doch die Droge, das ahnst du sicher bereits, ist nur ein kleiner Teil dessen, worüber ich rede. Vielleicht nicht einmal der wichtigste. «
    » Dann stimmt es also. « Sibyls Stimme klang hohl in ihren Ohren.
    » Ich will gar nicht so tun, als würde ich begreifen, wie das alles funktioniert « , fuhr ihr Vater fort. Er stand auf, streckte und reckte sich ein wenig und stützte den Ellbogen auf den Kaminsims. Das Feuer flackerte auf seinem Gesicht, und die Weichheit dieses sanften Lichts schien den verwitterten Charakter dieses Antlitzes etwas zu mildern und festigte in Sibyl den seltsamen Eindruck, eine jüngere Ausgabe ihres Vaters vor sich zu haben. » Ich weiß nicht, warum es bei anderen Leuten nicht so ist, oder ob Gott dabei am Werk ist oder der Teufel. Aber es ist wirklich so. Seit etwa fünfzig Jahren ist es so für mich. «
    Sibyl stieß ganz langsam den Atem aus. » Unglaublich. Ich hielt es auch für wahr. Aber Benton war so überzeugend. Nicht bis … na ja … « Der Rest blieb unausgesprochen. Sibyl wartete auf die Reaktion ihres Vaters.
    » Nun. Na gut. Professor Derby. Er ist Wissenschaftler. Und im Grunde seines Herzens ein Mann der Tat. Wie Richard, sein Vater. Manchmal kann man mit pragmatischen Männern einfach nicht über unpragmatische Dinge reden. «
    » Fünfzig Jahre? Wirklich? « , fragte sie erstaunt, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
    Er blickte geistesabwesend ins Feuer. » Fünfzig Jahre « , wiederholte er.
    » Aber wie …? «
    » In China. « Der Ton, mit dem er dies sagte, ließ keinen Zweifel daran, dass nicht zur Debatte stand, unter welchen Umständen Lan Allston Bekanntschaft mit der Hellseherei gemacht hatte. Ein dunkler Schatten huschte über sein Gesicht, der geisterhafte Schatten von Grauen und Bedauern, und einen entsetzten Augenblick lang rechnete Sibyl fast damit, ihren Vater in Tränen ausbrechen zu sehen.
    » Ich verstehe. Dann weißt du, was ich gesehen habe? «
    Ihr Vater trat vom Kamin weg und damit aus dem Lichtkreis, den das Feuer bildete, und zog sich in den dunkleren Teil des Salons zurück.
    Sibyl hörte ein winziges, wohliges Glucksen, das Geräusch, das Baiji machte, wenn man ihn sanft unter dem Schnabel kraulte.
    » Ja « , kam ihres Vaters düstere Grabesstimme aus der Dunkelheit. » Ich habe es nämlich auch gesehen. «
    » Und doch sagst du mir, ich soll ihn nicht davon abhalten? « Sibyl sprang auf, wurde zunehmend wütend. Ganz gewiss konnte doch ihr Vater seinem missratenen Sohn nicht so abhold geworden sein, dass er ihm den Tod wünschte. So kaltherzig konnte ihr Vater nicht sein. Nicht, wenn von dieser Familie nur noch so wenig übrig war. Nicht, wenn es bedeutete, dass sie ganz allein sein würde.
    Ein resigniertes Seufzen folgte, dann ergriff er wieder das Wort. » Ich sage es dir nicht. Ich bitte dich darum. Nein, ich flehe dich an. Versuch nicht, ihn davon abzubringen. «
    » Aber warum? « , wollte sie wissen und bohrte ihre Finger in die Rückenlehne des Sessels. Ihre Stimme war lauter geworden. » Wie kannst du ihn denn so verdammen? Es ist unmöglich, du kannst es gar nicht gesehen haben, sonst würdest du es nicht von mir verlangen. Wie kannst du nur? «
    » Weil « , sagte ihr Vater in einem Ton, aus dem tiefe Traurigkeit und Resignation sprachen. » Weil ich auch gesehen habe, was aus Harlans Leben wird, wenn es dir gelingt. «
    Eine bleierne Pause stürzte den Raum in eine plötzliche Stille. Mitten in diese Geräuschlosigkeit hinein knackte das Feuer.
    » Wie bitte? « ,

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