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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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überzeugen, Harlan die Fahrt nach Plattsburgh nicht auszureden. «
    » Wie bitte? « , fragte Sibyl verwirrt.
    » Du wirst versuchen, sie ihm auszureden. Aber das kannst du nicht. Und du darfst nicht. Ich weiß, warum du das Gefühl hast, es zu müssen, aber es ist unabdingbar, dass du mir in dieser Hinsicht gehorchst. Es ist sehr wichtig. «
    » Papa, ich … « , widersprach sie, verblüfft darüber, woher ihr Vater von ihrem Vorhaben wusste. Es war unmöglich. Sie hatte den Plan gerade erst gefasst. Und niemand war mit ihr und Benton im Gebäude der Fakultät für Sozialethik gewesen. Niemand konnte es ihrem Vater verraten haben. Ihr Verstand raste, machte gewaltige Sprünge, während sie überlegte, was sie sagen sollte, wurde jedoch immer wieder von ihrer eigenen Verblüffung ausgebremst.
    » Ich weiß nicht, wovon du redest « , war alles, was ihr schließlich einfiel, doch dabei ruhte ihr Blick auf ihren rastlosen Fingern, die an einem losen Faden im Polster der Armlehne nestelten.
    » Ach, wirklich nicht? « , fragte er.
    » Nein « , erwiderte sie, ganz versunken in ihr Fadenzupfen. Diese Armlehne war ja viel fadenscheiniger, als sie es in Erinnerung hatte. Sie würde den Sessel neu beziehen lassen müssen.
    » Sibyl, streck bitte mal deine Hände aus « , befahl ihr Vater ihr.
    Sie blickte auf. Das Herz schlug ihr heftig in der Brust.
    » Sie ausstrecken? « , fragte sie zögernd. » Wozu? «
    » Tu es einfach, bitte, mein Liebes. Bitte. Streck deine Hände aus. «
    Gehorsam hielt sie die Hände hoch, mit den Handflächen zu ihrem Gesicht, wie ein Magier, der vor einem Kartentrick zeigen will, dass er nichts in seinem Ärmel versteckt hat.
    » Nein « , sagte Allston. » Halt eine gerade vor dich, bitte. So. « Er zeigte es ihr, indem er die Arme gerade vor sich ausstreckte. Seine Hände zitterten ganz leicht, als er sie hochhielt, Folge seines Rheumatismus.
    Sie tat es ihm nach und streckte die Arme vor den Schultern aus.
    Ihre Hände zitterten.
    Sie verzog das Gesicht, befahl ihrem Verstand, sie still zu halten.
    Dennoch zitterten sie. Mit verängstigten Augen blickte sie ihren Vater an und sah, dass er sie mit einem gekränkten Ausdruck im Gesicht anschaute, mit der gleichen wortlosen Sorge in den Augen, die er früher zu verbergen versucht hatte, wenn sie weinend mit aufgeschürften Knien an der Küchentür erschien und von ihm in den Arm genommen werden wollte.
    » Wie ich vermutet habe « , stellte ihr Vater fest und legte nachdenklich einen Finger an seine Schläfe. » Du hast also nicht damit aufgehört. Ja, ich könnte sogar wetten, dass du deine Dosis erhöht hast. Obwohl ich dich explizit darum gebeten hatte, damit aufzuhören. «
    Beschämt verschränkte Sibyl die Hände vor der Brust und wandte das Gesicht ab, um ins Feuer zu schauen.
    » Ich bin einfach nur müde, das ist alles « , beharrte sie. » Es ist furchtbar spät. «
    » So spät ist es nicht. Früher warst du mit Eulah oft noch viel länger unterwegs. Und ich wäre dir dankbar, wenn du mich nicht anlügen würdest. «
    Sibyl ließ bedrückt den Kopf hängen. Ihr Vater seufzte, das lange Seufzen eines Mannes, der enttäuscht wurde und nicht weiß, wo er beginnen soll. Als sie verstohlen einen Blick in seine Richtung wagte, bemerkte sie, dass er sehr lässig in seinem Stuhl saß, die Arme auf den geschwungenen Armlehnen ruhend, die Beine weit ausgestreckt. An dieser Haltung war etwas seltsam Jugendliches, als wäre er ein Junge, der sich in seinem Stuhl fläzt, wenn er sich von seiner Mutter unbeobachtet fühlt. Sibyl begriff, dass ihr gerade ein kurzer Blick auf den jungen Mann gewährt wurde, der ihr Vater vor all den Jahren gewesen war, bevor die Last der Würde sich so schwer über ihn herabgesenkt hatte.
    » Woher wusstest du es? « , flüsterte sie und hörte voller Bestürzung, dass sie ganz wie das kleine Mädchen klang, das dabei ertappt wird, wie es über einer zerbrochenen Bowleschüssel steht.
    Abermals seufzte er, starrte mit weit offenen Augen ins Feuer, und obwohl seine Augenlider rot vor Müdigkeit waren, hatten seine Augen selbst noch immer das leuchtende Meeresblau einer Bucht in den Tropen.
    » Woher. Ich. Es. Wusste « , sagte er und betonte jedes Wort einzeln. Die tiefblauen Augen wanderten vom Kaminfeuer zum Gesicht seiner Tochter und verweilten eine Weile dort. Sie wartete, knetete ihre Hände, damit er nicht mehr sah, wie sie zitterten.
    » Du könntest mich ebenso fragen, woher ich von Miss Whistler wusste.

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