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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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verbergen sollten, sondern das, was er über sie wusste. Diese stoische Maske – nur eines der Gesichter, die Lan Allston der Welt zeigte – wurde unter größten Mühen aufrechterhalten, um ihnen ihre Freiheit zu bewahren.
    » Captain « , sagte Harley und streckte seine Hand aus.
    Ihr Vater nahm die Hand des jungen Mannes und schüttelte sie, dann zog er seinen Sohn an seine Brust und umarmte ihn. Fest lagen seine Arme um Harlans Schultern, er hatte die Augen zusammengekniffen, das Kinn so unbewegt wie Granit. Doch ihr Vater sagte nichts. Nur Sibyl, die diese Szene genau beobachtete, sah, wie sich aus dem Augenwinkel ihres Vaters eine Träne stahl, während er seinen Sohn so fest umarmt hielt. Es war nicht Lan Allstons Art als Vater, seinen Kindern wortreich zu vermitteln, dass er sie liebte. Doch Sibyl wusste es. Und Harlan wusste es. Und das war Lan in diesem Moment genug.
    Schließlich wandte sich Harlan an Sibyl. » Na, Sibs « , sagte er mit einem Grinsen. » Ich bin also doch nicht mehr auf die Schule zurück. Denkst du, du kannst es mir verzeihen? «
    Sibyl lächelte, und dabei wurde ihr bewusst, dass sie selbst eine stoische Maske aufgesetzt hatte. Tief in ihrem Herzen, dort, wo es niemand hören konnte, schrie sie: Harley, geh nicht! Bleib hier! Was immer du tust, bleib hier bei uns, wo du in Sicherheit bist! Doch sie spürte zwei Augenpaare auf sich ruhen, das ihres Vaters und das von Benton, die sie beobachteten, warteten. Sie schluckte, die Fäuste fest an ihre Seiten gepresst.
    » Ich schätze, die kannst du immer noch beenden, wenn du wieder da bist « , erwiderte sie. Ein Zucken huschte über ihre Wange, und sie suchte es mit einem breiteren Lächeln zu verbergen.
    Ihr Bruder lachte erfreut, riss sie spontan in seine Arme und hob sie hoch.
    » Harley! « , rief sie und strampelte mit den Beinen, während die anderen lachten. » Jetzt komm schon! Lass mich runter. « Harlan stellte sie auf den Boden und wandte sich Benton zu. » So, Derby, bereit zum Aufbruch? «
    » Fast « , sagte Benton.
    Sibyls Magen sank nach unten. » Wie bitte? « , fragte sie und schaute ihn an.
    » Er ist im selben Zug « , erwiderte Harlan, öffnete die hintere Tür des Wagens und warf seinen Rucksack auf den Sitz. » Dann nichts wie los. Will ihn nicht verpassen. «
    Sie starrte ihn an, ein fremdartiges Surren in den Ohren. Benton sah mit einem traurigen Lächeln auf sie herab.
    » Wovon redet er? « , fragte Sibyl, und ihre Augen weiteten sich vor Panik. Sie berührte ihn am Ärmel seines Jacketts. » Ben? Wovon redet Harlan? «
    » Ich fahre auch. «
    » Aber das kannst du nicht. «
    » Doch, ich kann « , sagte er, noch immer lächelnd. » Ich muss. « Er hob eine Hand und legte sie sanft an ihre Wange.
    » Aber … « , hob sie zu protestieren an, und Tränen stiegen ihr in die Augen. » Aber ich will nicht, dass du gehst. Ich will, dass du hierbleibst. «
    Er beugte sich zu ihr hinab, ohne darüber nachzudenken, wer ihnen zuschaute, und küsste sie. Sibyl verlor sich in dem Kuss, in dem Gefühl seines Mundes auf dem ihren, der sanften Unnachgiebigkeit seiner Lippen und seiner Hand an ihrer Wange. Er küsste sie, als schlürfte er kühles, erfrischendes Wasser und als wäre das die natürlichste Sache der Welt. Dann zog er sich zurück und flüsterte: » Ich habe meine Sachen schon an den Bahnhof schicken lassen. «
    Sie hielt nach wie vor seinen Ärmel in der Hand, so fest, dass ihre Knöchel ganz weiß waren. » Nicht « , flüsterte sie flehend.
    Er beugte sich noch einmal zu ihr, hielt den Mund ganz nah an ihr Ohr und sagte: » Mich hast du doch nicht dort gesehen, stimmt’s? Vielleicht kann ich ja auf ihn aufpassen. Vielleicht sind wir ja freier, als wir denken. «
    Dann drehte er sich um, blickte ihr noch einmal tief in die Augen und stieg neben Harlan in die Kraftdroschke. Zwei Rinnsale Tränen strömten Sibyl über die Wangen. Ihr Vater nahm ihre Hand und drückte sie. Von der anderen Seite näherte sich Dovie und schlang ihr den Arm um die Taille.
    Der Fahrer gab Gas und fuhr die Beacon Street davon. Jetzt konnte es Sibyl nicht mehr ertragen. Ausgerechnet jetzt, da sie ihn endlich wiedergefunden hatte, würde Benton sie verlassen. Ihre Unterlippe zitterte, und sie biss darauf. Sie hasste ihn dafür, dass er ging, hasste sich selbst, weil sie ihn nicht davon abhalten konnte. Das Automobil hupte zum Abschied noch einmal, und Sibyl, Lan und Dovie winkten.
    Bevor es einen halben Block weit gekommen war, streckte

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