Die Frauen von der Beacon Street
Tür öffnete.
» Es ist so viel netter « , hatte Helen als Entree zu ihrer üblichen Litanei behauptet, wenn sie nach dem Abendessen in den Salon gingen. Das letzte Mal, so erinnerte sich Sibyl, hatten sie diese Diskussion im November vor Helens verhängnisvoller Seereise mit Eulah geführt. Damals war das Haus von monatelangen Vorbereitungen auf Eulahs Einführung in die Gesellschaft geprägt gewesen, ein wahrer Wirbel aus Anproben, immer wieder verworfenen Ideen für die Ausstattung, Besuchen und Gegenbesuchen, bei dem einem schwindelig werden konnte. Am Abend kam es mehr als einmal vor, dass Sibyl ihre kleine Schwester dabei erwischte, wie sie sich in ihrem gemeinsamen Bad die Zähne putzte und dabei fast mechanisch die Tanzschritte übte, die vermutlich bei ihrem Kotillon aufgerufen werden würden, und dabei im Takt zu der Musik nickte, die doch allein in ihrem Kopf spielte. Sibyl hatte bei Weitem nicht so viel geübt wie sie, worauf hinzuweisen sich Helen nur selten entgehen ließ.
» Netter als was? « , brummte Lan dann.
» Ach, du weißt schon « , meinte Helen mit einem neckischen Lächeln und warf ihrem Mann einen koketten Blick zu, während ihre Hände mit einer Stickerei beschäftigt waren. » Es hat etwas zu bedeuten. Darüber, wo man in der Gesellschaft steht. «
» Das weiß ich auch von selbst, vielen Dank. « An diesem Punkt erhob sich Lan stets aus seinem Armsessel am Kamin und begab sich ohne ein weiteres Wort in den kleinen Salon. Während er davonschritt und seine Frau zurückließ, die resigniert den Kopf schüttelte, kramte er in seiner Tasche nach irgendeiner Leckerei, mit der er Baiji, der wie ein blauer Gnom auf seinem Hutständer hockte, bei Laune halten könnte. Sibyl kannte keinen Menschen, der einem Gespräch schneller den Garaus machen konnte wie ihr Vater.
Voller Hoffnung und Vorfreude schaute sie in das wie gemeißelte Gesicht von Mrs Dees Butler empor, dessen Namen sie immer noch nicht kannte, und fragte sich, ob er sie wohl hereinlassen würde. Es war nicht üblich, jemanden um diese Zeit aufzusuchen, und sie wurde nicht erwartet. Ihre Visitenkarte hatte sie bereits in der Hand für den Fall, dass es nötig sein sollte, offiziell um eine Audienz bei dem Medium zu ersuchen. Die Augen des Butlers wanderten zu Sibyls angespanntem Gesicht hinab. Ohne etwas zu sagen, trat er ins Dunkel des Vestibüls zurück und hielt ihr die Tür auf.
Als sie sich von ihrem Mantel und Hut befreit hatte, wurde Sibyl in Mrs Dees Empfangszimmer geführt, in dem das Medium auch seine spiritistischen Sitzungen abhielt. Der Salon sah ganz so aus wie sonst, mit seinen ausgestopften Vögeln, die Schwingen starr ausgebreitet wie zum Flug, die toten Augen auf der Wacht. Sibyl ging ruhelos auf und ab, obwohl sie wusste, es wäre besser gewesen, sich zu setzen und gesittet zu warten. Es roch muffig in dem Raum, vermutlich von all den Jahren, in denen man hier Räucherstäbchen abgebrannt hatte, deren Geruch sich längst in den Polstern abgesetzt hatte. Sibyl fuhr mit dem Finger über die Anrichte, betastete prüfend die Beschaffenheit eines Fasanenflügels, machte eine Spur in der Staubschicht auf dem Walnussschränkchen, umrundete einen Berg aus Kristallen. Schließlich hielt sie an einer kleinen Schachtel an, die offen stand und mit schwarzem Samt gefüttert war. In dem Kästchen lag eine schimmernde Kugel aus poliertem Glas, die in dem schummrigen Licht glänzte. Sibyl konnte ihrer anziehenden Glätte nicht widerstehen und nahm die Kugel in die Hand.
» Es überrascht mich nicht, dass es Ihnen diese Kugel angetan hat « , sagte eine Frauenstimme von der Tür zum Salon her, und Sibyl fuhr erschrocken herum.
Dort stand, beide Hände in einer besonders theatralischen Geste auf den Türknauf gelegt, Mrs Dee, so klein und stämmig wie immer. Sie trug einen Morgenrock aus Gobelinstoff, der mit Hermelin besetzt war. Ein Morgengewand für die kalte Jahreszeit, das ebenso unpassend wie aus der Mode und bis hoch zum Kinn geschlossen war. Das Medium betastete kurz den Pelz an seinem Kragen, trat in den Raum und setzte sich auf seinen neogotischen Thron.
Sibyl merkte erst einen Augenblick später, dass sie Maulaffen feilhielt. » Verzeihen Sie mir, dass ich einfach so hier hereinplatze « , begann sie, weil es ihr unangenehm war, wie sehr die Frau sie aus dem Konzept gebracht hatte.
» Macht gar keine Umstände, denn ich wusste, dass Sie kommen « , unterbrach Mrs Dee sie und hob bedeutungsvoll die Brauen. »
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