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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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Mietshäusern unterwegs, um körbeweise frische Wäsche zu verteilen. Sie hatte sich mit dem Gedanken gebrüstet, dass sie wisse, was es hieß, in Boston arm zu sein. Doch ein solches Leid wie hier hatte sie nie gesehen.
    » Boston, ich habe die Verbindung nach Cambridge, Massachusetts, für Sie « , sagte die weit entfernte Stimme der Vermittlung am anderen Ende der Leitung. » Sprechen Sie, Boston. «
    » Hallo? « , krächzte eine verschlafene männliche Stimme.
    Sibyl musste einen Schauder des Vergnügens unterdrücken, als sie Benton vor sich sah, wie er im Bett lag und vom Klingeln des Telefons aus dem Schlaf gerissen wurde. Sie stellte sich vor, wie er wohl gerade aussah: in einem zerknitterten, gestreiften Baumwollpyjama und einem hastig übergeworfenen Morgenmantel. Dann schob sie, entsetzt über sich selbst, die Vorstellung beiseite.
    » Ben, es tut mir so leid, wenn ich Sie geweckt habe « , begann sie mit betont belegter Stimme, denn sie sorgte sich durchaus, er könne unter ihren neutralen Worten ihre wahren Gedanken erraten.
    » Miss Allston? « , rief er aus und klang gleich deutlich wacher. » Sibyl « , korrigierte er sich. Er klang schläfrig, verwirrt, schien jetzt jedoch fast hellwach. » Wie viel Uhr ist es? «
    » So spät, dass ich es Ihnen unmöglich sagen kann « , erwiderte sie mit gesenkter Stimme. » Es tut mir so leid. Aber, wissen Sie, ich rufe Sie wegen Harley an. «
    » Harlan? « , fragte Ben mit deutlich angespannter Stimme. » Ist etwas geschehen? «
    » Ja, es ist etwas geschehen. « Sie drückte mit der Faust gegen die Glasscheibe der Kabine. » Ich fürchte, Harley wurde heute Abend furchtbar zusammengeschlagen. Ich kann nur annehmen « , sie hielt inne, selbst entsetzt von dem, was sie gleich sagen würde, » ich kann nur annehmen, dass es etwas mit seinen Schulden zu tun hat. Die Sie mir gegenüber erwähnt haben. Soweit ich es verstanden habe, hat er sich von irgendwelchen unlauteren Personen etwas geliehen, um sie zurückzuzahlen. Aber um die Wahrheit zu sagen, weiß ich es nicht genau. «
    Sie hörte, wie Benton scharf Luft holte. Dann sagte er: » Und? «
    Sibyl schloss die Augen, denn sie hasste es, Benton all diese Dinge erzählen zu müssen. » Er befand sich in einer kleinen Pension auf der Harrison Avenue. Überleben wird er es wohl, aber er ist nicht bei Bewusstsein. Eine gebrochene Rippe. Und sein Gesicht, Ben, ich habe ihn kaum erkannt. «
    » Verstehe. Aber er wird durchkommen, sagen Sie. «
    » Ja « , bestätigte sie. Und dann wappnete sie sich mit einem tiefen Schlucken für das, was sie noch sagen würde. » Es gibt da noch etwas. «
    Sibyl hielt inne, drückte die Wange an das Glas und spähte den Flur entlang zu dem Raum ganz am Ende, wo sie auf ihren Vater warten sollte, bis dieser seine Unterredung mit Harlan beendet hatte – sofern ihr Bruder überhaupt genug bei Bewusstsein war, um sie zu führen. Sie holte Luft und stieß sie in einem lang gezogenen Zischen wieder aus.
    » Was denn? « , drängte Ben.
    Sie fand das Rauschen seines Atems in ihrem Ohr seltsam beruhigend.
    Abermals musste sie schlucken, suchte nach den passenden Worten. Doch da ihr schließlich keine züchtigere Formulierung einfiel und sie auch zu müde war, um noch länger darüber nachzusinnen, sagte sie einfach nur: » Da ist ein Mädchen bei ihm. «
    Wenn sie damit gerechnet hatte, er würde schockiert oder sogar überrascht klingen, hatte sich Sibyl getäuscht. Er erwiderte bloß: » Ich bin gleich da. «

NEUN
    S ibyl schob die gläserne Tür der Telefonzelle beiseite und spähte den Krankenhausflur entlang. Ein paar Patienten saßen mit Decken über den Knien in Rollstühlen aus Peddigrohr, verstreut an der weiß getünchten Wand; kleine Grüppchen von Krankenschwestern traten eilig und mit zusammengesteckten Köpfen durch Türen. Von ihrem Vater keine Spur. Vielleicht hätte sie die beiden nicht allein lassen sollen. Doch es ging kein Weg daran vorbei: Der Captain würde sagen, was er zu sagen hatte, ob sie nun dabei war oder nicht.
    Sibyl machte sich auf den Weg den Flur entlang, die Augen auf ihre Füße gerichtet, die Arme vor der Brust verschränkt. Ihr Kopf schmerzte, als hätte ihn jemand in einen Schraubstock gezwängt. Zerstreut führte sie eine Hand zur Schläfe und massierte sie, während sie weiterging. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so lange auf gewesen war. Wahrscheinlich war das anlässlich irgendeiner Party gewesen, damals, als man sie noch

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