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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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Vater in feindseliges Schweigen verfiel, spürte Harley, wie sein unerbittlicher Blick über ihn hinwegwanderte und sein ganzes Elend in sich aufnahm – die bandagierten Rippen, das zerschmetterte Gesicht, die aufgeplatzten Lippen. Also ging sein Vater davon aus, dass er von Dovies Beschützer zusammengeschlagen worden war. Wenn es ihm möglich gewesen wäre, hätte er gelächelt, ein bitteres Lächeln zwar, aber immerhin ein Lächeln. Er sagte nichts.
    Lan fuhr fort: » Aber es ist das Privileg der Jungen, dumm zu sein, und dumm musst deshalb auch du sein. «
    Ärger machte sich in Harlans Magengrube breit wie ein harter Knoten. Er wusste, dass sein Vater nicht mit ihm zufrieden war, dass er für ihn eine Enttäuschung war. Und das würde er unweigerlich immer sein, ganz gleich, für wie erfolgreich der Rest der Welt ihn hielt. Doch er würde seinem Vater zeigen, dass auch er ein Ehrgefühl besaß. Das konnte Lan Allston ihm nicht absprechen. Harley konzentrierte sich mit äußerster Kraft und legte sich die Worte zurecht, die er gleich sprechen würde. Allein die Bewegung seiner Zunge trieb ihm vor Schmerz die Tränen in die Augen.
    » Ja? « , drängte sein Vater. » Hast du etwas zu deiner Verteidigung vorzubringen? Nun, ich stehe zu deiner Verfügung, mein Junge. Nur zu. Sprich. «
    Harleys Nasenflügel blähten sich vor Wut. Wie konnte sein Vater nur so wenig begreifen? Er lebte ganz zurückgezogen in seinem vornehmen Haus an der Beacon Street. Blind für die Welt, die Welt, wie sie wirklich war. Nicht wie Harley, der sich danach verzehrte, Erfahrungen zu machen, der sich weigerte, sich einsperren zu lassen, so wie Sibyl das mit sich geschehen ließ, wie eine Gefangene in jenem höllischen Leben. Diesem Grabmal nach dem Geschmack seiner toten Mutter. Es war an der Zeit, dass Lan Allston eine Portion der Welt abbekam, wie sie wirklich war. Harley nahm all seinen Mut zusammen.
    » Ich … liebe … sie. « Er sagte jedes Wort mit vollkommener Klarheit. Das Herz schwoll ihm in der Brust, denn zum allerersten Mal hatte er diese Worte einem anderen Menschen als der süßen Dovie anvertraut oder seinem eigenen Spiegelbild.
    Sein Vater beugte sich näher über sein Gesicht, nahe genug, dass Harley den Portwein und den Tabak in seinem Atem riechen konnte.
    » Den Teufel tust du! « , zischte sein Vater.
    Harley lag auf seinem Krankenbett und versuchte verzweifelt, die Augen aufzuschlagen. Das Licht durchbohrte wie ein weißer Splitter die Dunkelheit, verbreitete sich dann zu einem schmalen Streifen, verschwand ganz, als er blinzelte, und öffnete sich schließlich zum verschwommenen Umriss eines Gesichts, das einzig und allein seinem Vater gehören konnte. Harley heftete den Blick auf Lan und hoffte inständig, dabei wie ein Mann auszusehen, der es ernst meinte, und nicht wie ein kleiner, verängstigter Junge.
    » Ssssie … ist … keine Hure « , stieß Harley zwischen seinen aufgesprungenen Lippen hervor, während sich die Tür öffnete und eine Krankenschwester mit gestärkter Schürze hereinkam, die weißen Ärmelschoner über die aufgerollten Blusenärmel hochgeschoben. Auf einem Tablett trug sie eine Spritze. Als sie den Mann bemerkte, der mit ihrem Patienten in ein Gespräch vertieft war, blieb sie zögernd an der Tür stehen.
    Harleys Vater beugte sich über ihn und versperrte ihm damit die Sicht auf die Krankenschwester, die hinter ihm stand. Lan legte mit dem eisernen Griff eines Mannes, dessen Leben auf See von der Zuverlässigkeit seiner Navigationskünste abgehangen hat, eine Hand auf Harleys Arm. Harley biss die Zähne zusammen, als sich der Daumen seines Vaters tief in das aufgeschürfte Fleisch seines Armes bohrte.
    » Genau das ist sie aber « , stellte Lan fest, so leise, dass die Krankenschwester ihn nicht hören konnte. » Ob du es nun glaubst oder nicht. Ich hätte gedacht, dein gegenwärtiger Zustand habe dich eines Besseren belehrt. «
    » So, da wären wir « , unterbrach ihn die Schwester und tauchte an Harleys Bettkante auf. Lan ließ seinen Arm los und nestelte an der Westentasche herum, in der sich das Chronometer befand. » Dann ist er also wach? «
    Lan stand auf und verschränkte die Hände auf dem Rücken, ohne seinen Sohn aus den Augen zu lassen. » Ja, das ist er. «
    Es folgte eine lange Pause, in der Lan seinen kühlen Blick auf Harleys Gesicht ruhen ließ. Harley hielt dem Blick stand, solange er konnte, während er sich innerlich vor Wut und Scham immer mehr anspannte. Seine

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