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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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Unterlippe bebte. Dann schließlich stieß er ein letztes, armseliges Mal den Atem aus und verdrehte die Augen.
    » Ich denke, Sie werden feststellen « , sagte Allston, » dass der Junge ziemliche Schmerzen hat. «
    » Oh, das bringen wir gleich in Ordnung. Er muss sich ausruhen « , versicherte die Krankenschwester dem feinen Herrn und machte sich mit der Spritze zu schaffen. Sie hielt sie gegen das Licht, zog eine bernsteinfarbene Flüssigkeit aus einer kleinen Glasampulle auf und klopfte ein paarmal mit dem Fingernagel gegen die Spritze, um Luftblasen entweichen zu lassen. Dann beugte sie sich über ihn, und Harley roch den üppigen Duft ihres Körpers, während sie sich mit der Nadel näherte. Er schloss die Augen in köstlicher Vorfreude.
    » Daran habe ich keinen Zweifel « , hörte er seinen Vater sagen. Harley spannte die Muskeln seines Armes an und wartete auf das Piksen an der Innenseite seines Ellbogens. » Aber ich fürchte, wir können es nicht zulassen, dass er Morphium bekommt. «
    Die Schwester blickte verwirrt auf, die Nadel in die Luft gereckt. An der Spitze der Nadel hing zitternd ein Tröpfchen Flüssigkeit und funkelte im Licht. » Aber Sie selbst haben doch gesagt … «
    Flatternd öffneten sich Harleys Augenlider, und er wandte sich mit nackter Panik seinem Vater zu. Eine Bestrafung. Man hatte ihm schon des Öfteren Morphium verabreicht, und so kannte er dessen Macht, wusste um die köstliche Wärme, die von der Krone seines Kopfes über die Haut in seinen ganzen Körper strömte, selbst in seine Mundhöhle hinein und den Hals hinab, um auch das letzte Quäntchen Schmerz hinwegzuspülen. Sein Körper erinnerte sich an dieses herrliche Gefühl und an die Gleichgültigkeit, die damit einherging, denn es lag ebenso in der Macht der Droge, alle Sorgen und allen Kummer mit sich fortzureißen. Jede einzelne Zelle seines Körpers schrie danach, weinte um Erlösung.
    » Es steht einfach außer Frage. « Allston warf der Schwester einen scharfen Blick zu. » Wir müssen darauf bauen, dass die Vorsehung seine Schmerzen lindert, während er genest. «
    Ohne den Versuch zu machen, ihre Empörung zu verbergen, legte die Schwester die Spritze auf das Tablett zurück und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Sie blickte auf ihren Patienten hinab, dessen Kiefer mahlten, so sehr hatte der Schmerz seinen Körper im Griff. Harlan hatte das Gefühl zu schweben, und fast war ihm, als würde das Bett unter ihm wegsinken.
    » Nun, denn « , sagte die Schwester, wie aus der Ferne, als hätte sie durch ein Sprachrohr geredet, wie sich eines im Büro seines Vaters befand. » Sir, ich fürchte, dann muss ich Sie bitten zu gehen. Durch die Verletzungen des Jungen besteht große Infektionsgefahr, und wir müssen den Kontakt zu Besuchern auf ein Minimum begrenzen. Zu seinem eigenen Schutz, verstehen Sie. «
    » Natürlich. Aber kein Morphium, sonst sind Sie Ihren Job los « , erwiderte sein Vater, doch seine Stimme klang irgendwie gedämpft, als käme sie vom Grund des Ozeans. Lan Allston hob an, noch etwas zu sagen, etwas wie: » Dieses Gespräch ist damit noch nicht beendet. « Doch Harley konnte sich nicht sicher sein, denn er trieb schon auf einem Fluss aus Schmerz davon.
    Sibyl ging den Krankenhausflur entlang, die Hände um ihre Ellbogen gelegt, und versuchte sich gegen den Gestank der Krankheit und des Siechtums um sie herum zu wappnen. Ihre Schritte wurden schneller, während sie sich im Geiste zurechtlegte, was sie der jungen Frau sagen wollte, die auf sie wartete.
    Sibyl kam an einer Reihe offen stehender Türen vorbei. Jede Krankenstation barg eine lange Reihe von weißen Krankenbetten, in denen jeweils ein schmerzgeplagter Körper lag. Angesichts all dieses Leids, der geschundenen Körper, der Hilferufe sank ihr der Mut. Die Krankenstationen waren nichts anderes als Aufbewahrungsstätten für dahinsiechendes menschliches Fleisch, Gefängnisse der Seele, von denen so manche schon bald ihre sterbliche Hülle würde verlassen dürfen.
    Ein Schlachthaus.
    Bei einer Reihe von hölzernen Telefonkabinen blieb Sibyl einen Moment lang stehen und dachte nach. Dann hatte sie einen Entschluss gefasst, zog eine der Türen beiseite und trat ein.
    Vermutlich waren es Bentons Bemerkungen über die alltäglichen Schrecken menschlichen Lebens und sein Mitgefühl, die in ihr den Wunsch weckten, ihn anzurufen. Sibyl war Mitglied eines Komitees zur Verbesserung der Hygiene und der Lebensbedingungen von Frauen und oft genug in

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