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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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sie, sagtest du? Von echt unterweltlicher, hervorragender Art. Weißt du, dass sie ein Verhältnis mit Achilleus hatte?«
    Er regte sich nicht. Mit langsamen Schlucken trank er.
    »So wird geredet«, sagte er ernst. »Die Menschen schwatzen viel.«
    Er stellte den Kelch auf dem Marmortisch ab. Mit verschränkten Armen stand er im Mondlicht in der Tür, sah in den Garten und die Nacht hinaus.
    »Als Paris gestorben war«, keuchte ich, »hat sich dieses Weibsbild in Ilion mit Priamos’ Sohn ins Bett gelegt. Weißt du das auch nicht?«
    »Mit Deiphobos?«, fragte er in gleichgültigem, erinnerndem Tonfall. »Ja, davon habe ich gehört. War ein hübscher Junge. Menelaos hat ihn später erschlagen. Das war überflüssig.« Wieder betrachtete er den Garten und das Mondlicht. Leise pfiff er eine süßliche, fremde Melodie.
    »Warst du auch in Aphidra?«, rief ich. »Eine Zeit lang warst du viel in Attika unterwegs. Warst du nicht ihr Gast?«
    Aber ich konnte meine böse Frage nicht beenden. Mit einer Handbewegung schnitt er mir das Wort ab und sagte ruhig:
    »Theseus hat mich eingeladen. Ich hatte anderes zu tun.«
    »Und Korythos?« Ich konnte nicht schweigen. Seit zwanzig Jahren drängten sich mir diese Worte in der Kehle zusammen. »Erinnerst du dich noch?«
    »Ich erinnere mich auch an seinen Vater Alexandros. Aber er war ein eifersüchtiger Vater. Ich habe ihm gesagt, dass er übereilt handelte, als er seinen Sohn, den braven Korythos, erschlug.«
    Ich ließ mich in die Kissen meiner Liege zurücksinken und bedeckte die Augen mit der Hand. So sagte ich mit zitternder Stimme und flüsternd wie jemand, der sich im Namen aller Frauen und Göttinnen schämt:
    »Korythos und Deiphobos. Und Patroklos.«
    »Und Hektor«, sagte er kalt und nickte mit dem kahlen Kopf. »Und all die anderen. Achilleus.«
    Er bemühte sich, leidenschaftslos und trocken zu sprechen. Aber als er Achilleus’ Namen aussprach, bebte seine Stimme. Ich hatte die Hand vor die Augen gepresst, doch durch die Spalten meiner Finger beobachtete ich ihn.
    »Paris hat ihn getötet«, sagte ich schlau.
    Er fuhr hoch.
    »Oder Apollon in Gestalt des Paris«, sagte er nervös. »Lassen wir die Ammenmärchen, Penelope. Das Volk braucht Märchen. Die Frauen Männerfleisch und Familie. Die Männer Wein und Blut. Die Götter Opfer.«
    »Und die Tausenden, die vor den Mauern Ilions an der Pest krepiert sind. Wofür sind sie gestorben?«
    »Und deine Freier, Penelope«, sagte er mit scharfer Stimme, langsam und ernst. Er wandte sich zu mir. »Hier und hier haben sie gesessen …« Er zeigte auf den von Mondlicht durchfluteten Saal, der aus dem Fenster des Schlafgemachs jetzt zwischen den Säulen des Vorderhauses funkelte, als erleuchteten ihn die Toten mit gespenstischem Licht. »Sie alle sind tot. Bist du immer noch nicht zufrieden?«
    Höflich und geduldig sagte er das, wie ein Kompliment. Ich konnte nicht antworten. Langsam wandte er sich zu mir um. Den herabhängenden Zipfel seines Nachtgewandes warf er über die linke Schulter. Er trat an mein Bett und legte mir mit einer beruhigenden Bewegung die Hände auf die heiße Stirn. Das nervöse Zittern meines Körpers hörte sofort auf. In der Berührung seiner Hände lag eine eigenartige Kraft. Ich wagte kaum zu atmen, denn ich spürte, dass dies der erste und vielleicht letzte Augenblick war, in dem mein Mann mir ganz persönlich etwas gab. Aus dem Dunkel hörte ich seine ferne Stimme:
    »Beruhige dich«, sagte er. »Und versuche nicht zu verstehen, was die Götter wollen. Und erdulde, was ich will. Ich gebiete es.«
    »Mit welchem Recht?«, fragte ich wie jemand, der am Ersticken ist.
    »Ich bin dein Mann«, sagte er ruhig, als verkündete er ein Urteil.
    Nach alledem, was in den vergangenen zwanzig Jahren zwischen uns und in der Welt geschehen war, klang diese Antwort sonderbar. Dennoch, in diesem Augenblick wurde ich wunderbar ruhig. Glücklich lächelte ich. Ich wollte ihm die Hände küssen, aber er hatte sie schon weggezogen. Er ging zur Tür. Umfasste den krummen Stab, der gegen den Türrahmen gelehnt darauf wartete, ihn auf seinen Spazierwegen zu begleiten. Ich beobachtete ihn. Diesen Stab hatte er von Eumaios bekommen, anstelle des verlorenen, der ein Geschenk von Athene war und den er vor Angst den schnappenden Hunden vorgeworfen hatte, als er heimgekommen war. Mein Mann war ein Held, aber er hatte Angst vor Hunden. Auch jetzt pfiff er, er rief die Hündin, die er nach Argos’ Tod als Hüterin des Hauses

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