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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Tricks … als durchschaute er den göttlichen Willen. Er opferte ihnen, aber mechanisch und rituell, ohne jede Begeisterung. Als sich der Rauch der dürren Schafe des Opfers für Athene vom Altar verzogen hatte, rief er plötzlich laut:
    »Schafft das fetteste Rind herbei!«
    Die Rinderhirten liefen erschrocken los, um seinen Befehl zu erfüllen. Den dicken, fettigen Schenkel warf er eigenhändig in die hochauflodernden Flammen.
    »Bringst du dieses Opfer Zeus?«, fragte ich leise.
    »Nein«, sagte er finster. »Ich bringe es den Toten.«
    Und mit verschränkten Armen betrachtete er die schwarze Rauchsäule, die sich geradewegs zum tiefblauen Himmel hinaufschraubte. Bis dahin hatte er nie darüber gesprochen, dass er, während er sich herumtrieb, die Toten getroffen hatte. Auch von Teiresias hörte ich ihn an diesem Tag zum ersten Mal sprechen. Wortlos starrte ich auf den Marmorfußboden vor dem Altar.
    »Penelope«, sagte er plötzlich, »es ist nicht gut, zu sterben.«
    »Es gibt auch Unsterblichkeit, mein ruhmreicher Gatte«, sagte ich erschrocken.
    »Die gibt es, aber sie gilt nicht viel«, sagte er verächtlich. »Du musst wissen, nur das Leben hat wirklich einen Sinn. Der Tod ist langweilig, ich weiß es von Achilleus.«
    »Du hast mit ihm gesprochen?«, fragte ich erstaunt.
    »Mit ihm und mit meiner Mutter. Und mit Agamemnon.« Grimmig und mit einem kalten Schnauben lachte er auf. »Alle haben sich beklagt«, sagte er schadenfroh, »Agamemnon sagte …«
    Plötzlich verstummte er, als wollte er nicht überflüssig etwas verraten. Ich hielt den Atem an. Seit er heimgekommen war, hatte er noch mit niemandem im Haus über seine Reiseabenteuer gesprochen. Nun ja, in den ersten Monaten hatte er viel zu tun. Die Achäer, die Sippen meiner getöteten Freier, drohten mit Schadenersatzprozessen. Der Städtezerstörer ließ zur Nacht die Eisenstangen am Tor unseres Hauses vorlegen und gebot Eumaios, scharfe Hunde zur Bewachung des Hauses zu besorgen. In dieser Zeit war er eher zerstreut, argwöhnisch, als fände er seinen Platz nicht. Er suchte irgendetwas. Ich stellte mir vor, er suchte das Zuhause. Nach solchen Abenteuern, wie er sie erlebt hatte, ist es gewiss nicht leicht, seinen Platz zu Hause zu finden. Er ging unruhig hin und her, sah sich um … Da wusste ich noch nicht, dass er sich wieder auf eine Reise vorbereitete. Mein Mann konnte wunderbar von zu Hause weggehen. Und er konnte immer großartig heimkehren. Nur eines konnte er nicht: bleiben. Dazu hatte er kein Talent.
    Jetzt bildete ich mir ein, dass ihn die Erinnerung an die Toten beunruhigte.
    »Was können wir tun?«, fragte ich besorgt.
    »Nicht viel«, sagte er. Mit verschränkten Armen stand er vor mir. In seinen Augen leuchtete ein dunkles Licht, das ich gut kannte: So war es auch vor zwanzig Jahren gewesen, als er vor Palamedes Komödie gespielt hatte. »Man muss leben, Penelope«, sagte er traurig und feierlich. »Leben, mit jedem Nerv, mit jeder Muskelfaser.«
    »Aber die Götter …«, rief ich. Ich wollte sagen, dass die Götter mehr fordern als das Leben. Er winkte mir zu schweigen.
    »Die Götter sind neidisch«, sagte er heiser, vertraulich. »Sie beneiden uns Menschen um unsere Sterblichkeit, weil diese Leben bedeutet. Sprich aber mit niemandem darüber.«
    Das Opfer verrichtete er umständlich und mit langsamen Bewegungen: Er grub einen Graben ringsum, goss Milch, Honig und Wein hinein, bat dann um weißes Mehl, mit dem er den Altar der Toten bestreute. Dann verschränkte er die Arme und betrachtete sein Werk.
    »So«, sagte er erleichtert. »Jetzt sind sie ruhig.«
    »Den Waisen der Achäer«, sagte er noch beiläufig, »setze ich eine monatliche Rente aus.«
    In diesem Augenblick war er wahrhaft königlich. Aber ich dachte an das viele Gold und Silber, das der Heimkehrer von den Ermordeten erbeutet hatte. Die Rente, die er den Waisen aussetzte, machte nur einen kleinen Anteil der Beute aus.
    »Teiresias habe ich ein nachtschwarzes Schaf versprochen«, sagte er schließlich. »Sag den Schäfern Bescheid, dass sie eines besorgen!«
    Er richtete sich auf und ging erleichtert zum Haus, ganz wie ein Mann, der die Anordnungen der Götter befolgt und zugleich das getan hat, was ihm selbst gefiel: Er hatte alle getötet, unterwegs und hier zu Hause, die ihm in den Weg geraten waren und nach denen ihm nicht der Sinn stand, und dann am Ende Frieden mit den Toten geschlossen. Ich wusste allerdings, dass ihn im Tiefsten seines Herzens die Menschen

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