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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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mehr interessierten als die Götter und die Toten.
    »Teiresias sagte, der Tod werde vom Meer zu mir kommen.« Er blieb auf der Schwelle unseres Hauses stehen. »Ich werde ein sanftes und friedliches Alter haben und dann in deinen Armen sterben, Penelope«, sagte er wohlwollend mit einem gütigen Lächeln.
    Jetzt, da er so gütig war, begann ich mich ernsthaft vor ihm zu fürchten.
    VIII
    Seine Rührseligkeit und Güte waren nicht von Dauer. Noch am selben Abend – am Abend des Tages, an dem er mit den Toten Frieden geschlossen hatte – begann er, am Abendessen herumzumäkeln. In diesen Monaten scheuten mein Hausvolk und auch ich keine Mühe, um den Heimkehrer mit ausgewählten und schmackhaften Speisen zu erfreuen. Eurykleia stand trotz ihres fortgeschrittenen Alters den ganzen Tag in der Küche und beaufsichtigte unseren Koch aus Samos und die Küchenmädchen. Unser Personal war in dieser Zeit freilich schon ziemlich dezimiert, denn mein Mann hatte eigenhändig alle Weiber getötet, von denen er in Erfahrung gebracht hatte, dass sie mit den Freiern getändelt und geschlafen hatten. Diese Säuberung führte er methodisch durch, ohne Zorn oder eine Gefühlsregung zu zeigen, wie ein guter Gärtner, der im Frühjahr die Raupen in den Obstbäumen ausrottet.
    Als er eines Nachmittags die Schwester des zweifellos liederlichen Zimmermädchens Melantho erschlug, eine junge Frau aus Zakynthos, nur weil sich herausgestellt hatte, dass diese hübsche Person von dem widerlichen Antinoos in anderen Umständen war, versuchte ich, ihm ins Gewissen zu reden.
    »Ich glaube«, sagte ich freundlich, aber in überzeugendem Ton, »es wäre an der Zeit, mit der Rache aufzuhören.«
    Nervös und beleidigt rief er:
    »Ich will keine Rache, ich will Gerechtigkeit!«
    Mit seitlich geneigtem Kopf funkelte er mich böse an.
    »Wenn du alle tötest«, sagte ich bemüht ruhig, »alle, die in den zwanzig Jahren, die du weg warst, in diesem Haus mit meinen Freiern geredet haben … wird das Haus langsam leer.«
    »Die Gerechtigkeit kennt keine Gnade«, sagte er, und seine Augen sprühten vor Hass. »Für Verrat gibt es keine Vergebung. Lieber soll dieses Haus leer sein …«
    Er beendete den Satz nicht. Mit brennendem, hasserfülltem Blick sah er mich an. Ich erbleichte. Noch nie hatte er mich so voller Hass angesehen.
    Unterwegs, in den zwanzig Jahren, in den Fallen der Götter und der Menschen, hatte sich sein Herz mit unversöhnlichem Argwohn gefüllt. Er vertraute niemandem. Früher, als er noch bei uns lebte, war er gerecht und friedliebend. Auf seinen Irrfahrten nahm er viele überraschende neue Gewohnheiten an. Eine solche neue, schlimme Gewohnheit von ihm war, dass er ohne zu fragen alle tötete, denen er nicht vertraute oder die ihm im Weg standen. Zweifellos hatte er ein Recht dazu, denn er war der Herr und König. Aber er machte willkürlich von diesem Recht Gebrauch. Ich wollte ihn nicht reizen, und deshalb verschwieg ich, dass ich tief in meinem Herzen den Mord an meinen Freiern für übereilt hielt, auch wenn er nach den Gesetzen der Menschen wie der Götter rechtmäßig war. Darüber musste ich schweigen. Aber als ich sah, dass das Töten bei ihm zur Zwangshandlung wurde, erhob ich die Stimme.
    Dass er die liederlichen Dienerinnern an den Füßen aufhängte wie der Vogelfänger die gefangenen Wachteln, konnte ich noch verstehen. Aber selbst meine besten Küchenmädchen erschlug er mit der bloßen Hand. In meinem Haus fand das heimliche, verborgene Weinen und Klagen kein Ende. Langsam begannen wir zu begreifen, dass es nicht gut ist, allzu lange auf jemanden zu warten, der einmal mit aller Entschiedenheit fortgegangen ist, weil er, wenn er wiederkommt, mit derselben Entschiedenheit heimkehrt.
    Ich seufzte. Der Weinmischer betrat den Saal und meldete, dass das Abendessen serviert sei.
    Wortlos gingen wir in den Speisesaal, der immer noch nach Schwefel roch. Wie immer begleiteten mich auch jetzt zwei Dienerinnen, denn ich achtete darauf, meinem Stand gemäß behandelt zu werden und die alten Sitten zu bewahren. Ich legte mich zur Linken meines Mannes nieder. Nur wenige waren um den Tisch versammelt: Mentor, Dolinos und einige alte Bekannte waren gekommen. Ulysses’ Argwohn und die seit seiner Heimkehr seltsam veränderten Zustände im Haus waren der Grund dafür, dass unser sonst so gastfreundliches Haus in dieser Zeit nur wenige Besucher sah. In Wahrheit fürchteten sich alle vor ihm.
    Es wurde Ziegenbraten mit Oliven aufgetragen

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