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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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mit einer Wildsauce. Ulysses aß mit spitzen Fingern, missmutig langte er in die Schüssel.
    Das Gespräch kam nur schleppend in Gang. Es war, als irrten die Seelen der ermordeten Freier im Halbdunkel des von Fackeln nur spärlich erleuchteten Saales umher.
    »Diese Ziege ist zäh«, sagte er missgelaunt und winkte, dass man die Schüssel vor ihm wegnehme. »Ich erinnere mich, als ich mich verkleidet nach Troja schlich, bewirtete mich Helena auch mit Ziegenfleisch. Aber mit einer jungen Ziege, einem Milchzicklein.«
    Mir blieb der Bissen in der Kehle stecken, nur mit Mühe konnte ich schlucken.
    »Es ist auch Schweinefleisch da, wenn du das lieber magst, mein Gebieter«, sagte ich mit geheuchelter Demut.
    »Von Schwein ertrage ich nicht einmal den Anblick«, sagte er finster. »Wenn ich Schweinefleisch sehe, fallen mir immer meine Gefährten ein. Und noch einige Achäer, die hiergeblieben sind.«
    Alle, die um den Tisch versammelt waren, schwiegen erschrocken und beklommen. Nur das zahnlose Schmatzen des greisen Dolinos war zu hören. Die Diener brachten auf silberner Schale die Nachspeise herein: Schafskäse und Obst. Der Koch aus Samos und unser Gärtner wählten jeden Abend sehr sorgsam die Früchte aus, die auf der großen Silberschale malerisch angeordnet serviert wurden. Feigen, Granatäpfel, in Trockenkammern gedörrte, süße Weintrauben, die Rispen der länglichen, an Ziegeneuter erinnernden Tafeltrauben aus Zakynthos, die er immer gemocht hatte, Äpfel und Walnüsse türmten sich auf der Silberschale, deren Rand meisterhaft gearbeitete Satyrn zierten. Wir wohnten in der Provinz, aber ich achtete darauf, dass die hauptstädtischen Sitten, die mondänen, spartanischen Traditionen hier in unserem dörflichen Heim nicht verloren gingen. Wie in meinem Elternhaus sorgte ich auch in Ithaka dafür, dass in der Mitte des Esstischs in einer Marmorvase Asphodelosblüten dufteten. Das Sparta meiner Mädchenjahre war noch nicht das trostlose und staubige Nest, zu dem es später wurde, als nicht mehr die Herren herrschten – Herren wie mein Vater, der edle Ikarios –, sondern das besessene, finstere Dienervolk.
    Mein Mann sah die reichlich gefüllte Schale lange an. Er hob eine Feige hoch, kostete die fleischige Frucht mit der grünen Schale.
    »Ist kein Lotus da?«, fragte er missmutig.
    Alle am Tisch senkten die Köpfe. Meine Dienerinnen, die Schüsseln und Krüge in der Hand, erstarrten wie die Tänzerinnen, die auf die Krüge gemalt waren. Ich bemühte mich, meine Überlegenheit und Würde zu wahren.
    »Wir haben keinen Lotus im Haus«, sagte ich kalt.
    »Das sehe ich«, erwiderte er spöttisch. »Unsere Gärtnerei ist ein wenig zurückgeblieben. In Troja gab es immer Lotus«, sagte er hochmütig und zupfte an einer Weintraube.
    »Auch in Sparta gab es Lotus«, sagte ich überheblich. »Er wurde im Gemüsegarten angebaut. Aber den aßen nur die Diener.«
    Er tat, als hätte er den Seitenhieb nicht gehört.
    » Der Lotus«, sagte er belehrend, im Tonfall des Familienoberhauptes, das aus fernen Ländern heimgekehrt ist und den Seinen einen Vortrag über das hält, was es im Ausland gesehen hat, »ist eine besondere Speise. Der Lotus, der im Gemüsegarten deines Vaters angebaut wurde, war eher eine Art Kürbis als ein edles Obst«, sagte er und wandte sich mir zu. »Erinnere dich doch, Penelope! Der echte Lotus ist keine gewöhnliche Speise, wenn auch nicht so edel wie Ambrosia, die honiggleiche Nahrung der Götter. Es gibt auch Lotuswein«, sagte er überheblich.
    »Lotus!«, rief vom Ende des Tisches der taube, zahnlose Dolinos. »Davon habe ich gehört, ich erinnere mich. Wer ihn isst, schläft nur.«
    Der Alte hatte tatsächlich etwas gehört. Mein Mann nickte:
    »Sechs Monate lang schlafen sie, und ihr Traum ist honigsüß«, sagte er in Erinnerungen versunken. »Auf meiner Reise hat es mich zu den Lotophagen verschlagen. Von den vielen Gefahren, die mich erwarteten, war nicht diese die größte. Aber auch nicht die kleinste!« Wieder blitzten seine Augen mit dunklem Feuer. Mit gesenkter Stimme sprach er heiser weiter. »Ihr müsst wissen, Speisen und Getränke aus Lotus haben Zauberkraft. Wer davon ist, vergisst sein Haus und die Daheimgebliebenen.«
    Er stand auf. Seine Gäste erhoben sich erschrocken. Mit verschränkten Armen zischte er:
    »Aber ich habe nicht davon gegessen. Denn ich wollte nicht vergessen.«
    Seine Augen blitzten, als er das sagte. In diesem Augenblick zerriss ein Blitz den Vorhang der

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