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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Hand, großzügig und beiläufig. Darauf verstand er sich wahrhaft königlich. Vielleicht hatte er das von seinem Großvater, dem berühmten Rossebändiger, gelernt. Aber ebenso leichtfertig konnte er alles fortwerfen, und zwar mit einer einzigen Handbewegung. So schleuderte er die Liebe der Frauen von sich, die Anerkennung der Männer, den eitlen Ehrgeiz, die Beute, ja, eines Tages auch das Wohlwollen der Götter. Das war das Königliche an ihm. Alles, was das Leben gibt, verwarf er mit unerbittlichem Hochmut; aber mit ebenso königlicher Gelassenheit konnte er sich von allem trennen. Das verstanden sie nicht, die Schicksals- und Zeitgenossen, die besitzen und behalten wollten. Mein Vater liebte die Beute und fand Gefallen an der Verschwendung. Doch für den Besitz selbst interessierte er sich nicht.
    So warf er eines Tages Helena weg, die einzige Frau, die er vielleicht wirklich geliebt hat … Ich glaube, das kann ich guten Gewissens so sagen. So warf er auch meine Mutter weg, Ithaka, ja, sogar mich, seinen legitimen Sohn, den Erbe seines Thrones. Er scherte sich nicht mehr um seinen Thron. Und um all die Aufgaben und Ehren, die ihm zuteilgeworden waren. Auch von vertrauten Sitten wollte er plötzlich nichts mehr wissen. Er hatte die wunderbare Fähigkeit, sich zu erneuern. Sein Körper, den die Leiden und Mühen der Kämpfe und des Kriegslebens, die Liebesansprüche der Frauen, die Schicksalsschläge des Herrschens und Umherstreifens nicht verschlissen hatten, konnte mit erstaunlicher innerer Kraft Krankheit, Müdigkeit und andere, gefährlichere Übel bekämpfen: die Folgen der eigenen Eitelkeit und Maßlosigkeit. In der Nacht nach seiner Heimkehr nach Ithaka sah ich meinen schlafenden Vater in der Hütte des Schweinehirten Eumaios. Am Abend hatte noch ein hinfälliger, runzliger, alter Bettler zu mir gesprochen. Er schlief tief, vielleicht vor Erschöpfung, vielleicht, weil der einschläfernde Zauber der geheimnisvollen Barke des Alkinoos noch in den Nervenbahnen des Heimkehrers kreiste. Ich sah mir sein fremdes und dennoch bekanntes Gesicht an. Alt war dieses Gesicht, krähenfüßig und verhärmt. Seinen wolligen Bart durchzogen graue Strähnen. Ich bedauerte ihn und fürchtete mich zugleich vor ihm. Ich überlegte, ob ich ihm eine dicke Ziegenfelldecke überlegen sollte, weil es gegen Ende des Winters ging und in Ithaka zu dieser Zeit nachts immer noch Raureif lag. Ich überlegte, ob ich ihn töten sollte, weil ich mich vor ihm fürchtete. Als hätte der Schlafende meine Gedanken gespürt, setzte er sich plötzlich auf der wackeligen Liege auf. Es dämmerte schon. Mein Vater rekelte sich, rieb sich die Augen … dann stand er mit einer leichten Bewegung auf. Und als hätte er im Schlaf die Verkleidung des Alters, des Bettlers, des Dulders abgeworfen: Im Morgenlicht stand nicht mehr der elende, greise Bettler vor mir, sondern ein furchterregender Mann, der heimgekommen war, um – auf grässliche Weise – Gerechtigkeit ergehen zu lassen und Ordnung zu schaffen. Die Arme in die Hüften gestützt, stand er im Morgenlicht vor mir, halb nackt und riesig. Plötzlich hatte er kein Alter mehr. Stumm sah er mich aus der Höhe an. Ich wusste genau, dass er alles verstand und fühlte, was ich in diesem Augenblick dachte. Ruhig sagte er:
    »Geh voran! Halte dich bereit und schweige!«
    Er gähnte und streckte sich. Und als wäre es die natürlichste Sache der Welt, sagte er:
    »Wir machen ihnen den Garaus.«
    Er begann, sich anzuziehen. Wann er mir den Garaus machen würde, sagte er nicht. Blass sah ich ihm bei den Vorbereitungen zu. Ein neuer, geheimnisvoller, tiefgründiger Mann war nach Ithaka gekommen, so viel verstand ich. Er pfiff den Hunden, die ihn am Abend zuvor noch verbellt hatten, aber jetzt bereits den Herrn in ihm witterten und schwanzwedelnd mit untertänigem Kläffen herbeieilten, um ihn zu hofieren. Ich begriff, dass mein Vater eine geheimnisvolle Fähigkeit besaß – er konnte sich erneuern, am Leib und in der Seele.
    Deshalb gelang es ihm auch, leichten Herzens alles hinter sich zu lassen, worauf Menschen sonst so wahnwitzig beharren. Später verstand ich, dass er nicht nur irdische Güter und weltliche Eitelkeiten mit einer lockeren Handbewegung von sich werfen konnte, sondern dass er sich auch auf das große Geheimnis verstand, wie man ohne innere Gekränktheit die Jugend hinter sich lassen kann. Um diese Fähigkeit beneidete ich ihn. Jetzt, da auch mein Haar grau wird, denke ich manchmal, es wäre

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