Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
die die östlichen Ufer von Poseidons Reich bevölkern –, unbedingt und mit allen Konsequenzen Mensch war. Sein selbstsüchtiges Verhalten, mit dem er den Geschöpfen und den Göttern gegenübertrat, war unmissverständlich ein menschlicher Charakterzug. Vor ihm war die Welt anders gewesen: tierischer, aber auch göttlicher.
Aber davon zu sprechen ist schwer. Unter den menschlichen Eigenschaften meines Vaters gibt es viele, die wenig anziehend sind. So war er beispielsweise neugierig, und dann auch noch habsüchtig, gierig und beutehungrig. Wie die Menschen im Allgemeinen. Doch er war auch eitel, lüstern, überschwänglich und heimtückisch. Wie die Götter im Allgemeinen. Darüber hinaus besaß er eine Entschiedenheit, eine zu allem entschlossene Zielstrebigkeit – also genau die Fähigkeit, zu der die trägen Tiere und die launischen Götter gleichermaßen wenig neigen. Bei allen Verkleidungen und allem Firlefanz blieb er, der gegenüber allem und jedem treulos war, sich selbst immer treu. Im Osten verstehen sie das nicht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen dort Zauberei betreiben, außerdem leben sie gern in Massen zusammen wie die Ameisen und Termiten. Mein Vater war ein Mann des Westens, also liebte er die Einsamkeit, deren höchste Äußerungsform die Persönlichkeit ist.
Ich glaube, mit meinem Vater beginnt eine besondere Erscheinung: der Mensch von menschlichem Zuschnitt.
Als wir die Freier getötet hatten und mein Vater wieder von Ithaka weggegangen war, um – getreu seiner Natur – auf den Nachbarinseln einige leichtgläubige Königinnen hereinzulegen, Kinder zu zeugen, mit denen er danach ständig auf Kriegsfuß stand, und den affenartig eitlen Männern alles wegzunehmen, an dem sie krampfhaft hingen: den Ruhm, ihre gesellschaftliche Rolle, Waffen und Haushaltsgegenstände aus Edelmetall, ertragreiche Industrie- und Handelsmöglichkeiten –, da ging auch ich auf die Reise. Die Ermordung der Freier hatte schlimme Erinnerungen bei mir hinterlassen, eine Art Ekel. Ich verspürte die Notwendigkeit eines Ortswechsels. Der göttliche Mörder war auch bei diesem Unternehmen übermäßig menschlich gewesen. Unter den Freiern – es hat keinen Sinn, das zu leugnen – hatte ich mehrere Freunde. Einige ältere Männer hatten mir in den beiden langen Jahrzehnten, in denen mein Vater von Ithaka fern gewesen war und in der großen weiten Welt gekämpft hatte, tatsächlich den Vater ersetzt. Noch heute schmerzt es mich, dass ich – auf Befehl meines Vaters oder weil es die Kampfsituation gebot – Amphinomos eine Lanze zwischen die Rippen stoßen musste. Zu meiner Freude hörte ich später, dass mein Stoß nicht tödlich war und dieser brave Gutsbesitzer vom Lande die Todesgefahr überstanden hatte, das große Abenteuer, das ihn in den Dunstkreis meiner göttlichen Mutter gezogen hatte. Es tut mir leid, dass meine Mutter von allen Freiern gerade diesen ehrlichen, braven Mann weniger mochte. Seine Annäherungen wies sie immer mit demonstrativer Kälte zurück. Das Herz einer Frau – ganz gleich, ob das der Mutter oder das der Geliebten – ist schwer zu durchschauen. Auch das Wesen meiner furchterregenden und großartigen Frau Kirke und ihr Verhalten mir gegenüber sind Beweis dafür. Obwohl dieses wunderbare Wesen durch den unverständlichen und erhabenen Willen meines Vaters in meinen Armen liegt, habe ich das Gefühl, dass es im Sinne der menschlichen und göttlichen Ordnung vielleicht richtiger gewesen wäre, wenn mein Vater von den Frauen, deren Herzen einst für ihn geschlagen haben, eine andere, eine irdischere und weniger göttergleiche für mich ausgewählt hätte.
Aber die Absichten des Lichtbringers zu verstehen war noch nie einfach. Wir töteten die Freier, und mein Vater ging nach einem kurzen, aber rastlosen Aufenthalt in Ithaka wieder auf die Reise. In dieser Zeit lebte ich auf verschiedenen Inseln, und am liebsten war mir davon Samos mit seinen vielen Bäumen. Die Heimkehr des Lichtbringers und alles, was geschah und woran ich nach seinem grausamen Willen teilnehmen musste, hatte mich völlig durcheinandergebracht. Ich begann mich zu fürchten. Die Angst ist ein duckmäuserischer Ratgeber.
Zu dieser Zeit war die Gestalt meines Vaters schon ins Übermenschliche gewachsen und warf ihren Schatten über die Inseln. Wo immer ich hinkam, hörte ich von ihm. Man sprach von ihm mit Hass, Neid, Angst und Sehnsucht. Mich, seinen Sohn, empfing man argwöhnisch; ich wurde bedauert, aber
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