Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Neugier begeistert all das vortrugen, was sie vom Hörensagen über meinen Vater wussten. Der ungewöhnlich reiche Kindersegen, der dank der Reisen meines Vaters sich überall dort eingestellt hatte, wo der strahlende Herumtreiber sich auch nachts aufgehalten hatte, zwang mich, die Reden all derer mit Vorsicht zu genießen, die murrend und zähnefletschend Forderungen stellten … Aber meine Reisen blieben nicht ergebnislos. Ich wage zwar nicht zu sagen, dass ich, was die Ansichten und Auffassungen meines Vaters zum Privateigentum angeht, jetzt die ganze Wahrheit kenne. Doch die vielen Fragen und Antworten, dann das Kennenlernen der örtlichen Verhältnisse und der direkte Austausch mit meinen legendären Gesprächspartnern haben mich mit einer Art Kenntnis beschenkt.
Das Leben hat es mir verwehrt, längere Zeit in der Gesellschaft meines hehren Vaters zu verbringen. Schon in der Kindheit wurde ich von ihm getrennt, und später traf ich ihn nur zweimal persönlich: als er – nach zwanzig Jahren Abwesenheit – nach Ithaka heimkehrte, um zu töten, und als er – nach erneuten zwanzigjährigen Irrfahrten – nach Ithaka heimkehrte, um zu sterben.
Beide Augenblicke waren großartig, waren seiner würdig, aber zu kurz, als dass ich mir ein wahrheitsgemäßes Bild von ihm hätte machen können, wie es die Ehrfurcht eines Sohnes gebietet. Jetzt, da die Erinnerungen an ihn schon in der geheimnisvollen Lösung der Zeit zerfallen sind, habe ich Gelegenheit, die volle Wahrheit über meinen Vater zu erzählen. Götter, Halbgötter, Männer und Frauen haben zu mir von ihm gesprochen … Helden, Abenteurer, liederliche Frauen, tugendhafte Jungfrauen, Schmuggler, Deserteure und dann andere, Achäer und Phaiaken, Argeier, die sich brüsteten, einstmals Helden gewesen zu sein. All diese vielen Menschen konnten etwas über meinen Vater berichten. Jahr für Jahr verbrachte ich auf Reisen, weil es nicht ratsam war, dass ich in Ithaka blieb: Ich fürchtete, mein Vater könnte nach Hause kommen und mich töten. Meine Furcht war nicht unbegründet. Deshalb bemühte ich mich, diesen fürchterlichen und großartigen Mann kennenzulernen. Frauen flüsterten mir ihre Geheimnisse ins Ohr, Männer warfen mit Beschuldigungen um sich, Najaden und Nymphen sprachen von ihm. Später hörte ich, dass seine Persönlichkeit auch die Phantasie der Dichter beschäftigte. Sicher ist, dass in Argos selten ein Mann gelebt hat, der für eine solche Unruhe in den Hirnen der Männer und den Betten der Frauen sorgte wie mein seliger Vater. Schade ist, dass er mich töten wollte. Sicher ist, dass er wenig Neigung zum Familienleben verspürte.
Die Frauen, die er verlassen hatte, klagten, er sei ein untreuer Liebhaber gewesen. Die Kampfgefährten, die er betrogen oder im Stich gelassen hatte, beschuldigten ihn, ein untreuer Kamerad gewesen zu sein. Meine strahlende Mutter Penelope trug manchmal wortlos, manchmal empört das bittere Schicksal, das der Städtezerstörer ihr zugemessen hatte. Und ich, sein Sohn … was weiß ich schon von ihm? Vielleicht nur, dass jetzt, da er nicht mehr ist und ihn die rächende Hand des Schicksals ereilt hat, die Welt sonderbar leer für mich ist. Die Erleichterung, die die Nachricht von seinem Tod bei uns Angehörigen auslöste, deren Leben ständig bedroht war, wandelte sich in bittere Enttäuschung. Die Welt wird eigenartig leer, wenn der einzige Mann sie verlässt, der nach dem Willen des Verhängnisses und der Götter unser echter, einziger Feind ist. Ganz besonders leer wird sie, wenn dieser Mann zufällig unser Vater war. Er hat mich gelehrt, dass es sich nicht lohnt, ohne Feind zu leben.
Ich erzähle also, was ich auf den Inseln gehört habe.
II
Mag sein, dass er das Privateigentum nicht achtete. Hat er eigentlich, so frage ich mich manchmal, im Himmel und auf Erden überhaupt irgendetwas geachtet? Seine Kämpfe mit den Menschen und den Göttern haben mich davon überzeugt, dass die Menschen und die Götter sterblich sind. Der eigenartige Zustand, den die Götter als Unsterblichkeit bezeichnen, ist in Wirklichkeit eine ebenso vergängliche Erscheinung wie die kurz bemessene Lebenszeit der Menschen. Mein Vater wusste, dass auch die Götter schließlich sterben wie die Menschen. Sein Herz hatte sich mit diesem bitteren Wissen gefüllt. Es ist sehr schwer, jemanden zu verehren, von dem man sicher weiß, dass er sterblich ist.
Wegnehmen – Ruhm, Gold, Frauen, Pferde, Lanzen, Ochsen und Schafe – konnte er mit leichter
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