Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
dass er diesen herumlungernden, näselnden und lispelnden, unsympathischen Kerl sofort umbringen solle. Der Junge erzählte auch, dass – nach sicherem Hörensagen – mein Mann unterwegs ein Verhältnis mit einer Tochter des Aiolos hatte. Aber später habe ich nie davon gehört, dass aus dieser Dummheit mit der Windgöttin ein Sohn geboren wäre. Vielleicht fiel der Junge auch nur nicht weiter auf in dem großen Wirrwarr, das die von Zeit zu Zeit auftauchenden Söhne meines Mannes in meinem Haus verursachten.
Zu den Söhnen meines Mannes – zu den ehelichen ebenso wie zu den zufälligen – versuchte ich sanft zu sein. Schließlich waren sie ohne Vater aufgewachsen. Jeder hatte von zu Hause etwas von den Leidenschaften mitgebracht, die in den Herzen der betrügerisch verlassenen Mütter tobten. Die Jungen, die in meinem Haus zugleich zu Gast und zu Hause waren, liefen manchmal wie ein Rudel um mich herum. Dieses sonderbare Schwärmen erfüllte unser Hauses mit dem Zauber der Persönlichkeit des Abwesenden. Alle gehörten wir zu ihm, so oder so, alle empfanden wir eine Gemeinsamkeit mit seinem Blut, und wenn wir – mit Sehnsucht oder Angst – auf ihn warteten, wussten wir zugleich, dass dieses Warten voller gefährlicher Leidenschaften und Schuldbewusstsein ist. Worauf mussten wir uns denn einstellen, wenn der Lichtbringer heimkehren würde? Einmal schon hatten wir die Folgen seiner überraschenden Heimkehr erlebt. Ich wartete, dass er heimkäme, wie er es versprochen hatte: um in meinen Armen zu sterben. Das war alles, was ich noch von ihm erwarten konnte. Die anderen warteten, angespannt und zähnefletschend, darauf, sich endlich von seinen schrecklichen Drohungen befreien zu können. Seine Söhne erwarteten ihn, seine Sprösslinge, die umherstreiften und ab und an gemeinsam in der Rotte grunzten. Sie erwarteten ihn, um ihn zu töten. Aber davon sprachen sie nur im Geheimen, feige, mit gelegentlichen Aufschreien unterdrückter Leidenschaft, wie wenn jemand Schlimmes träumt und im Schlaf spricht. Jedenfalls füllte sich unser Haus in dieser Zeit – während der zweiten langen Abwesenheit meines Mannes – mit den jähzornigen, verborgenen Geistern der bösen Erwartung.
Eines Tages kam er dann heim. Wie er es versprochen hatte. Wie es die Priesterinnen in Dodona und Delphi prophezeit hatten. Wie es die Sibyllen in Cumae, in Eritrea, in Delphi, in Lybia vorhergesagt hatten. Wie wir – heimlich, tief in unseren Herzen – alle gehofft hatten. Und wie wir zugleich gefürchtet hatten, unsere Hoffnung könnte Wirklichkeit werden.
Die Umstände seiner Ermordung will ich nicht ein weiteres Mal beschreiben. Neben den Polizeidaten, die allgemein bekannt sind, hindern mich auch persönliche Aspekte, über alles völlig offen zu sprechen. Sein Mörder – mein geliebter jetziger Mann, der ruhmreiche Telegonos – spricht nicht gern davon, und er mag es auch nicht, wenn seine strahlende Mutter Kirke oder ich, seine treue Frau, davon erzählen. Ich kann nur sagen, dass Telegonos nicht wusste, wen er abstach, als er dem Lichtbringer die spitze Lanze in die Brust stieß. Das ist die Wahrheit. Er handelte blind, tötete in Notwehr. Das erkennt auch die menschliche und göttliche Rechtsprechung an. Alle weiteren Worte hierzu sind überflüssig.
Wovon ich noch sprechen muss, was ich wiederholen muss: seine letzten Worte. Als ich ihn umarmte, als ich seinen blutenden Körper, seinen zerzausten Kopf an die Brust drückte, als ich ihm in die gebrochenen Augen blickte, sagte er mit erkaltenden, blauen Lippen einige Worte. Zuerst – wie immer, wenn er heimkehrte – traf er Verfügungen. Er zeigte auf seinen Mörder, meinen ruhmreichen Mann Telegonos, und sagte:
»Ich erkenne ihn. Er ist mein Sohn.«
Das Blut sickerte ihm aus dem Mund und vermischte sich mit den Strähnen seines herabhängenden Schnauzers und seines grauen Vollbartes. Mit diesem blutenden Mund sagte er zu mir:
»Jetzt sterbe ich. Verrichtet die Opfer vorschriftsmäßig und gewissenhaft. Dann heiratest du ihn.« Wieder zeigte er auf Telegonos.
Wir weinten alle. Aber er kümmerte sich nicht um uns. Mit einigen Worten, in die sich schon Röcheln mischte, befahl er Telemachos, meine ruhmreiche Schwiegertochter und Schwiegermutter, die göttliche Kirke, zur Frau zu nehmen – seine ehemalige Geliebte, die edle Mutter seines Mörders Telegonos. Als er die häuslichen und familiären Angelegenheiten geregelt hatte, stand er plötzlich mit großer Anstrengung auf.
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