Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
wieder auf den Weg. All das wegen dieser Weibsperson, die sein Blut nicht zur Ruhe kommen ließ.
Diese Frau! Wie ich höre, schminkt und pudert sie sich immer noch. Sie benimmt sich wie wir Unsterblichen: cremt ihren Schattenleib mit Kallos ein, der duftenden Pomade, die den Körper elfenbeinfarben werden lässt. Auch Aphrodite benutzte diese Salbe, wenn sie zum Tanz ging … Athene verschönerte mit ihr – während ich schlief – meinen Körper und mein Gesicht, als ich auf meinen heimkehrenden Mann wartete. Alles stahl diese Weibsperson, alles machte sie nach, auch das Geheimnis der Masseusen und Göttinnen. Eine klapprige Schattengestalt ist sie und glaubt, dass sie noch auf die wehrlosen und lahmen Männer in Hades’ Heimat wirkt. Als wir junge Mädchen waren, haben wir in Sparta oft zusammen gebadet. Ich weiß, dass sie Pickel auf dem Rücken hat, Verdauungsprobleme und einen fauligen Atem. Eine Stimme hat sie wie eine Dienerin. Immer kichert sie, und dann hält sie sich die plumpe Hand vor den Mund. Sie glaubt, das wäre eine überaus zierliche Bewegung! Immer war sie dumm. Immer hinterhältig. Immer hatte sie Erfolg bei den Männern.
Manchmal dachte ich auch, dass es vielleicht für uns alle gut gewesen wäre, wenn ihr habgieriger Vater Tyndareos das Flehen meines seligen Mannes erhört und sie ihm zur Frau gegeben hätte.
Ich weiß, diese Idee ist irrwitzig, ungehörig. Denn die Götter haben unser beider Schicksal miteinander verbunden. Aber ich habe niemals verstanden, warum die unsterblichen Götter das Schicksal einer Frau an einen Mann binden, der eine andere liebt. Der sein Zuhause verlässt. Der in den Kampf zieht wegen einer sittenlosen Person, die sich in den Armen eines anderen wälzt. Die Götter schweigen merkwürdigerweise. Wenn mich diese Frage peinigt, erwacht eine Unruhe in meinem Herzen. Vielleicht sind die Absichten der Götter nicht immer verständlich und konsequent? Entscheiden und handeln sie manchmal planlos, eben nur, weil sie es können? Ich wage nicht, diese Frage laut auszusprechen.
Einmal – kurz nach seiner Heimkehr und wenige Tage, bevor er sich wieder auf den Weg machte und mich verließ – fragte ich meinen seligen Mann:
»Was hast du an dieser dämlichen Gans geliebt?«
Die Frage, so einfältig sie auch war, überraschte ihn nicht. Überhaupt überraschte ihn nie etwas unter den Menschen. Mit graugrünen Augen sah er in die Ferne, kalt und ruhig wie immer, wenn er über die Fragen der Menschen nachdachte.
»Du bist nicht gerecht«, sagte er. »Diese Frau hatte etwas.«
Das Mittagessen war vorüber. Wir waren allein und lagen in dem großen Saal, in dem er ein paar Monate zuvor meine Freier getötet hatte und aus dem danach mit Schwefel der Blutgeruch ausgeräuchert worden war. Der bittere Geruch des Schwefels klebte noch an den Wänden und reizte mich manchmal zum Niesen. In den Eisenkörben rauchte die Glut von harzigen Tujazapfen und Zypressenzweigen. Es war gegen Ende des Winters, und die Hitze des Feuers fuhr uns manchmal mit ehernen Krallen ins Gesicht. Telemachos war jagen gegangen, und ich bemerkte seit Tagen einen Zug im Gesicht meines Mannes, der mir nicht gefiel. Ich hatte den Eindruck, er langweilte sich. Ich begann mich zu fürchten.
»Aber was?«, fragte ich. Ich setzte mich auf der Liege auf und zog die Falten meines Gewandes glatt. In diesen Monaten kleidete ich mich besonders sorgfältig, weil ich noch hoffte, den Heimgekehrten zu Hause halten zu können. »Was ist dieses Etwas?«, fragte ich. »Ist sie klüger? Unzüchtiger? Geschickter? Unflätiger?«
»Von guter Art«, sagte er ausweichend und sah mich nicht an. Er griff nach dem Kelch und mischte sich Wein.
Diese Antwort verletzte mich bis aufs Blut. Ich versuchte mich zu beherrschen. Ich kreischte nicht los, weil ich gelernt hatte, mich auch in schweren Lebenslagen an meine teilweise göttliche Herkunft zu erinnern. Aber jetzt hatte er gerade meine Abstammung beleidigt, indem er meine Cousine, diese Weibsperson, als »von guter Art« bezeichnete. Meine Schwester Laodike, meine Halbschwester Iphthime, meine Brüder Polymelos und Samasykolos, mein edler Vater, der ruhmreiche Ikarios, der aus einer alten Familie Spartas stammte … Sie alle schwiegen sich darüber aus, dass es neben den Glanzpunkten im Leben meines Vaters auch einen dunklen Fleck gegeben hatte: den Augenblick, in dem er sich zu meiner Mutter herabließ, zu einer gewöhnlichen Nymphe – nicht einmal des Wassers, sondern des
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