Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Waldes – und mich zeugte. Ich muss jedoch zugeben, dass mein Mann stets so viel Zartgefühl und Ritterlichkeit besaß, um über diese Schande hinwegzusehen. Vor der Welt und auch mir gegenüber stand er zu seiner Schwiegermutter, meiner armen Mutter Periboia, der Nymphe. Aber die dunkle Glut der Schande brannte immer im Herzen der stolzen Familie.
Ich erwiderte nichts. Und er sah mich nicht an. Er mischte Samoswein mit dem säuerlichen heimischen Tresterwein, der in unserem Garten wuchs, zwischen den Ölbäumen, an Ranken, die mit Riedfäden aufgehängt waren. Als er den Kelch hochhob, um den Göttern zu opfern, spürte ich Groll in mir aufwallen. Unseren Sohn hatte mein Mann gelehrt, dass man am Gegner nicht herummäkeln darf. Aber ich bin nicht nur eine Göttin, sondern auch eine Frau, und der Aufruhr in meinem Herzen war stärker als mein Verstand. Ich sah meinen Mann an und mein Herz begann zu rauschen wie das Meer, wenn es vom verschleierten Mond gerufen wird. Er trank den Kelch in einem Zug leer und sah den schweren Silberpokal – ein Geschenk eines meiner Freier, des bedächtigen Amphinomos – zufrieden an, so wie alles aus Silber und Gold, das die Freier mir geschenkt hatten. Mit einer langsamen Bewegung setzte er den Pokal auf dem runden Marmortisch ab und stand auf. Im gnadenlos scharfen Licht des Spätwintertags sah ich jetzt die Züge seines Gesichtes – anders als je zuvor. Anders als damals, als er sich aufgemacht hatte, um neun Jahre lang vor Trojas Mauern zu kämpfen, und dann noch ein Jahrzehnt lang umherschwirrte und in fremden Höhlen in den Armen verdächtiger Frauen lag. Die bittere Gischt des herbstlichen Meeres hatte seinen sehnigen Leib gebeizt, während ich mich mit den Freiern und den diebischen Schweinehirten sowie mit der Erziehung unseres hehren, aber immer etwas nachlässigen Sohnes herumgeschlagen hatte … Er hatte sich verändert. Der Wind, das Meer, die Ausdünstungen der Küsse fremder Frauen, dann der Kampf, die Leidenschaft des Tötens, der Meißel der Duldung hatte fremde Muster in dieses Gesicht geschnitten. Es war nicht mehr das Gesicht meines Mannes, sondern das eines Fremden. In diesem Augenblick begriff ich, dass mein Mann, der Lichtbringer, nicht nur wegen der Hochnäsigkeit der hereindrängenden Griechen aus der göttlichen Rangordnung in die menschliche Welt herabgestiegen war. Die Polypenarme des Abenteuers hatte ihn in die Tiefe hinabgerissen, wo die Menschen leben … das menschliche Abenteuer, die Neugier. Die großen Götter, die echten, sind wütend und eifersüchtig, doch niemals neugierig. Offenbar beginnt die Neugierde beim Menschen. Er ist freiwillig zu den Menschen hinabgestiegen, weil er von dem schaumig-schmutzigen Trunk der Neugier gekostet hatte und ein Mensch sein wollte. Der Mann, der jetzt zur Tür ging, hatte zwanzig Jahre lang vor den Mauern von Troja und in der Welt gekämpft, weil er nicht vergessen wollte und neugierig war. Mein Gesicht brannte wie Feuer. Ich schämte mich, auch an seiner statt. Als er an der Schwelle war, schrie ich ihn an:
»Weißt du, dass dein Freund Menelaos, diese Memme, Helena wieder in sein Haus aufgenommen hat?«
Er blieb stehen. Über die Schulter sah er zurück und antwortete ernst:
»Ich weiß.«
Er zuckte mit den Schultern.
»Wir haben gesiegt«, sagte er.
Und er lächelte. Aber so kalt, gnadenlos und böse, wie nur ein Mann lächeln kann. Dann verließ er den Saal. Lange saß ich einfach da. Ich hatte mein Gesicht in den Händen verborgen. Vor Schreck hatte ich am ganzen Körper Gänsehaut bekommen. In diesem Augenblick begriff ich, dass der Trojanische Krieg vergeblich gewesen war, dass es nichts nützte, dass ich zwanzig Jahre lang auf ihn gewartet hatte. Ich begriff, dass es keine Hoffnung gab, weil mein Mann alt geworden war: Ihm waren die Erinnerungen wichtiger als die Gegenwart. So begann es.
V
Der Gefühlssturm des Wiedersehens war für mich in diesem Augenblick vergangen. Ich begann, ihn zu beobachten. Dafür wählte ich die Stunden, in denen mein Mann in meinem weiträumigen Schlafgemach auf der mit Ziegenfell bedeckten Liege neben mir lag. So, im Dunkeln, konnte ich ihn besser studieren.
Sein Geruch war mir vertraut. Nur entströmte seiner Haut vielleicht noch rauer und derber als zuvor der Geruch des Meeres. Gischt und Tang, Salz, die Gewürze des Süd- und Nordwindes und schließlich ein magenumdrehend süßlicher Duft, den nur der Körper einer fremden Frau in den Poren eines Mannes
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