Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Lichtbringer«. Nun habe ich es ausgesprochen und bin erleichtert. Es ist an der Zeit, dass unter diesen Streit zwischen den Sklaven endlich ein Schlussstrich gezogen wird.
III
Der Lichtbringer war er, der einzige. Der göttliche Dieb träumte diesen Namen für seinen Enkel. Meine Schwiegermutter, die einfältige Antikleia, unternahm in der Schwangerschaft einen Ausflug ins Gebirge Neriton und wurde dort von einem Regenguss überrascht: Nervös und hastig, wie sie war, brachte sie vor Schreck das Kind zur Welt, konnte allerdings nicht ahnen, dass sie dabei jemanden gebar, der göttlicher Abstammung war und deshalb selbst als Mensch mehr galt als ein gewöhnlicher Mann.
Von unserer Familie will ich nicht viel reden. Ihr fühlte Ulysses sich nie sonderlich verbunden. Vielleicht war seine ruhelose Natur daran schuld, vielleicht noch etwas anderes. Als er gestorben war, überlegten wir, was wir auf den Marmorstein schreiben lassen könnten, den wir an seinem Grab aufstellten. Schließlich konnte ich die Sklaven nicht meißeln lassen, dass hier der beste Ehemann, Vater, Verwandte und Freund ruht! Diese Formulierung entspricht ja nicht der Wahrheit. Deshalb ließ ich nur »Ulysses« in den Grabstein meißeln. Wer es liest, weiß, dass hier der Lichtbringer ruht. Seiner Familie – wie seiner Nation – stand er nicht sehr nahe. Irgendwie fand er weder in der einen, noch in der anderen seinen Platz. Wenn man diese heiligen Worte in seiner Gegenwart aussprach, wurde er immer nervös.
Ja, er wollte nach Ithaka heimkehren. Als er unterwegs war, sagte er, er wolle nicht sterben, bevor er nicht noch einmal den Rauch seines Hauses gesehen habe. Und schließlich kam er tatsächlich heim nach Ithaka, um zu sterben. So wollten es die Götter. In dem Augenblick, in dem mein geliebter jetziger Mann Telegonos das Blut meines seligen Mannes vergoss, war Ulysses tatsächlich hier zu Hause in Ithaka. Im Augenblick seines Todes, im letzten Augenblick erst, gehörte er seiner Familie und dem Volk von Ithaka. Dies war der einzige Augenblick, in dem er sich bedingungslos und mit Leib und Seele zu Ithaka bekannte.
Ansonsten war er nur unser Herr, auf den wir ewig warteten. Das Rätseln, ob er nach Hause kommt, und wenn ja, wann, war bei uns schon eine Art Volksbrauch geworden, wie die religiösen Handlungen. Mir klingen noch die hoffnungsvollen Fragen im Ohr und dann – je mehr Zeit vergangen war – die eigenartig veränderten, in nicht ganz ehrlichem Ton vorgebrachten Mutmaßungen. Unsere treue Amme Eurykleia stahl in den ersten zehn Jahren nur wenig, und jeden Morgen, wenn sie, geweckt von der rosenfingrigen Morgenröte, bei mir anklopfte, um mich zu massieren, seufzte sie schon auf der Schwelle meines Schlafgemachs auf:
»Noch in diesem Jahr wird er heimkommen.«
Das klang wie ein Morgengruß. Später antwortete ich gar nicht mehr. Eumaios, der alte Schweinehirt – ich höre, dass der blinde Sänger ihn später einen Gott genannt hat, aber das ist eine unschickliche Übertreibung! –, begann gleich im ersten Jahr zu stehlen. Ich glaube nicht, dass dieser Schweinehirt göttlich war. Sicher ist, dass er viel stahl, sowohl er als auch die anderen Schweinehirten, die Diener, die Dirne Melantho, die sich in den Nächten mit meinen Freiern zusammenlegte, und mein ganzes Hausvolk. Ehrlich gesagt stahlen nur die Freier nicht. Alles, was sie aßen und tranken, ersetzten sie reichlich durch ihre goldenen und silbernen Geschenke. Zwei andere Schweinehirten, Melanthios und Philoitios, zählten meine Freier zusammen. Sie sagten, in den ersten zwanzig Jahren, in denen wir auf der Insel Ithaka auf meinen seligen Mann warteten, seien insgesamt hundertachtzehn Freier in unserem Haus gewesen. Ich bin nicht eitel – das gibt auch Pallas Athene zu, von der ich gewisse Mittel bekomme, die für die Körper- und Schönheitspflege nötig sind. Dennoch will ich nicht leugnen, dass mir diese ansehnliche Zahl guttat.
Alles, was meine hundertachtzehn Freier in zwanzig Jahren bei uns gegessen und getrunken haben, kostete nicht so viel wie das, was das Hausvolk während der Abwesenheit meines Mannes stahl. Dass die Bediensteten dies taten, wundert mich nicht. Es ist nur allzu menschlich. Wenn der Hausherr zwanzig Jahre lang – und später noch viele Jahre mehr – mit dem Schiff von einem Abenteuer zum nächsten unterwegs ist, zerfällt in der Wirtschaft alles und wird wie Spreu im Wind verweht. Amphinomos, einer meiner Freier, reif und schon etwas
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