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Die Frauen von Nell Gwynnes

Die Frauen von Nell Gwynnes

Titel: Die Frauen von Nell Gwynnes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kage Baker
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Augenoptik zu aktivieren. Dann betrat sie den Gang. Augenblicklich erkannte sie die Tunnelwände und den Boden, die sich grünliche in die Ferne erstreckten. Sie hatte dasselbe moderne Mauerwerk wie in dem Laborgebäude erwartet, doch der Tunnel schien bereits älter zu sein: willkürlich zusammengesetzt aus vermörtelten Steinen, hölzernen Stützpfeilern und überall von Wurzelwerk durchbrochen – weissen, fadigen ebenso wie knorrigen, dunklen, unterirdischen Gliedmassen.
    Auf ihrem Weg den Gang entlang fand Mrs. Corvey an verschiedenen Stellen Fussspuren. Die meisten waren klein, nicht viel grösser als ihre, aber zweimal bemerkte sie auch eine wesentlich grössere Spur, mit Sicherheit von einem Mann. Ausserdem nahm sie fremdartige Luftströmungen im Tunnel wahr. Nach knapp hundert Metern entdeckte sie das, was sie für die Ursache hielt: Ein zweiter Tunnel öffnete sich, wo einige Steine und Mörtel zusammengebrochen waren und eine schmale Lücke in der Wand freigaben.
    Mrs. Corvey untersuchte den Tunnelboden vor der Lücke. Jemand war in jüngster Vergangenheit hindurchgegangen, soweit man es an den Fussspuren im Erdreich ablesen konnte. Sie wandte sich um und bedachte die Richtung des Stollens, der einige Meter weiter voraus endete, wo eine Leiter nach oben führte, zweifelsohne in den Turm darüber, mit einem Blick. Sie gab ihrer Eingebung nach, wandte sich zurück und glitt durch die Lücke in den zweiten Tunnel.
    Die Wände dort schienen noch viel älter zu sein, in der Tat schienen sie gar nicht von Menschen erbaut, sondern von einem riesengrossen Geschöpf gegraben worden zu sein. Die Luft roch erdig und weich, und in der Ferne tropfte Wasser und erzeugte Echos. Mrs. Corvey spähte in die Tiefen und entdeckte weiter vorn etwas Scharlachrotes in der grünen Düsternis, eine unregelmässige Masse vor einer der Wände.
    Sie hob ihren Gehstock an die Schulter und ging behutsam vorwärts, einen Meter, zwei, drei. Dann gab es einen jähen Blitz grellen Lichts und ein ... Dröhnen? Nein. Mrs. Corvey konnte nicht sagen, was für ein Sinneseindruck es gewesen war, der ihre Nerven so qualvoll getroffen hatte. Sie schwankte einen Augenblick, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Zwei, drei tiefe Atemzüge stellten ihre Contenance wieder her. Dann hörte sie ein Ächzen vor sich in der Dunkelheit, gefolgt von einer männlichen Stimme:
    „Wissen Sie, wenn ich hier sterben soll, möchte ich gerne erschossen werden. All dieses Blenden und Anketten und so weiter wird langsam langweilig.“

Kapitel 13
    In welchem Mr. Ludbridge eine eigenartige Geschichte erzählt.

    D ie rote Masse hatte sich verschoben und nahm nun die Gestalt eines Mannes an, der zusammengesackt an der Tunnelwand lehnte, wobei ein Arm unangenehm nach oben wegstand. Als sie sich näherte, erkannte Mrs. Corvey, dass er an der Stelle mit einer Handfessel fixiert war, deren Kette um eine der uralten Wurzeln geschlungen war.
    „Mr. Ludbridge?“, erkundigte sie sich.
    Sein Kopf ruckte hoch und in ihre Richtung.
    „Ist das eine Dame?“
    „Das bin ich. William Reginald Ludbridge?“
    „Könnte sein”, entgegnete er. Sie war auf wenige Schritte herangekommen, öffnete ein Fach in ihrem Stock, entnahm ihm ein Streichholz und entzündete es. Der Kreis des tanzenden Lichtscheins erwies unzweifelhaft, dass es sich in der Tat um den vermissten Agenten Ludbridge handelte. „Wer ist da?“
    „Elizabeth Corvey, Mr. Ludbridge. Vom Nell Gwynne’s.”
    „Sind Sie das? Was wird aus Illusionen?“
    „Wir zerstreuen sie“, antwortete sie, erleichtert, dass sie sich an die Parole erinnern konnte, denn sie musste sie nur selten abgeben.
    „Wir sind überall. Falls Sie sich fragen, wieso das Streichholz kein Licht gibt, das liegt an diesem gottverfluchten – ich bitte um Verzeihung – diesem Ding, das Sie ausgelöst haben. Es wird mindestens eine Stunde dauern, ehe wir wieder etwas sehen können.“
    „Ehrlich gesagt sehe ich Sie, Mr. Ludbridge.“ Sie blies das Flämmchen aus.
    „Bitte? – Oh! Mrs . Corvey. Sie sind die Dame mit den … verzeihen Sie mir, Madam, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass die SGG die Hilfstruppe der Damen zu meiner Rettung schickt. Der Blitz hat Ihre ... äh ... Augen also nicht beeinträchtigt?“
    „Es sieht nicht so aus, Sir.“
    „Das ist doch mal was. Äh ... ich gehe davon aus, dass man Sie nicht allein geschickt hat?“
    „Nein, Sir. Einige meiner Mädchen sind oben und, wie Sie wohl sagen würden,

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