Die Frauen von Savannah
sich. »Ich hab keine Zeit für Faulenzer. Steh auf und zieh dich an.«
Sie stemmte die Hände in die Hüften und wartete darauf, dass ich etwas sagte. Aber meine Zunge war ganz dick, und ich konnte sie nur anstarren.
»Du hast fünf Minuten, dann bist du unten. Verstanden?«
Ein Windstoß bauschte ihre Schürze wie ein Segel. Sie strich sie glatt und ging zur Tür. Im Verschwinden hörte ich sie noch murmeln: »Grundgütiger, wenn ich das nächste Mal so viel Stufen raufkletter, dann nur noch in den Himmel. Mehr sag ich dazu nicht.«
Ich lauschte dem schleppenden Fump, Fump, Fump , als sie die Treppe hinunterstapfte. Sobald ihre Schritte verklungen waren, sprang ich aus dem Bett, putzte mir die Zähne und zog mich an.
Ich ging hinunter in den Raum, den Tante Tootie Foi-jee genannt hatte, und plötzlich überkam mich eine überwältigende Sehnsucht nach Ohio. Sie war so stark, dass ich kurz innehalten und mich sammeln musste. Ich sah an meinen zerknitterten Kleidern hinunter und versuchte noch, mein T-Shirt glatt zu streichen, aber im Grunde wusste ich, dass ich nicht in dieses herrliche Haus gehörte.
Hinter mir im Flur donnerte eine Stimme. »Hallo! Ich spreche mit dir.«
Der Schreck holte mich in die Realität zurück, und ich drehte mich um. Sie stand in einer offenen Tür am Ende des Flurs auf ihren stämmigen Beinen, die in klobigen braunen Schuhen steckten. »Komm, Frühstück ist fertig.«
Mein Herz raste, und meine nackten Füße klatschten auf den schimmernden Holzfußboden, als ich den Flur hinuntereilte. Ich folgte ihrem Schatten durch einen Türbogen in die Küche.
»Frühstück gibt’s da drin«, sagte sie und deutete mit dem Kopf auf eine Tür. »Miz Tootie ist im Schönheitssalon, und dann muss sie zu ’ner Sitzung. Kommt erst zum Mittagessen wieder.«
Ich nickte, machte vorsichtig die Tür auf und trat in ein sonniges Zimmer, das zum Garten hinausging. Mittendrin stand ein runder Tisch mit einer rosa-weiß karierten Tischdecke. Auf einer Leinenserviette lag Silberbesteck mit eingravierten Initialen, und es standen zwei weiße Porzellanteller auf dem Tisch. Ich nahm vorsichtig einen in die Hand und hielt ihn gegen das Licht. Er war so dünn, dass ich fast durchgucken konnte.
Die Küchentür schwang auf, und ich stellte den Teller schnell wieder hin. Die Frau kam mit einem Tablett herein und setzte es auf dem Tisch ab. Wir betrachteten einander schweigend.
»Sind Sie Oletta?«
»M-hm.« Sie schenkte Orangensaft aus einer blitzenden Kristallkaraffe in ein Glas ein und stellte es mit einem lauten Klonk vor mich. »Das ist hier ein feines Haus«, sagte sie und senkte ihren dunklen Blick auf mich. »Und in feinen Häusern gibt’s Regeln. Eine Regel ist, beim Essen Schuhe tragen.«
Ich sah auf meine nackten Füße und spürte, wie ich rot wurde.
Ihre Stimme wurde etwas weicher. »Denk einfach nächstes Mal dran. Okay?«
Ich nickte.
»Und jetzt setz dich, damit ich dir das Frühstück servieren kann.«
Oletta legte ein gestärktes weißes Spitzendeckchen auf den Teller, und ich zog den Stuhl hervor und setzte mich. Auf das Deckchen stellte sie eine Schale, die von einem kuppelförmigen silbernen Deckel überwölbt war. Dann stellte sie zwei kleine Glasschälchen hin, die aussahen wie aus Eis geschnitzt, in einem waren Himbeeren, im anderen brauner Zucker. Mit einer silbernen Zange legte sie eine Zimtschnecke auf einen kleinen Teller. Ihr Blick durchbohrte mich, als sie den Finger in den Ring auf der Silberkuppel schob, ihn anhob und darunter eine dampfende Schale Haferbrei zum Vorschein kam. Sie setzte den Deckel mit einem metallischen Zing wieder ab, drehte sich um und ging.
Haferbrei.
Ich erinnerte mich an einen stürmischen, kalten Morgen 1963. Ich war in die Küche gegangen und hatte Momma am Herd vorgefunden. Dampf stieg auf, und am Fenster lief Kondenswasser hinunter, während sie eifrig rührte. Als sie mich an der Tür sah, sagte sie, ich solle mich hinsetzen und warten, bis sie fertig ist.
Ein paar Minuten später stellte sie mit großer Geste eine Schale Haferbrei vor mich hin, stemmte die Hände in die Hüften und lächelte. »Ganz besondere Überraschung für mein liebes Häschen. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
Ich schaute ungläubig in die Schale. Auf dem klumpigen Haferbrei lagen zerbrochene Zuckerstangen, und als wäre das nicht schlimm genug, hatte Momma das Ganze noch mit Paprika bestreut und mit drei verschrumpelten grünen Oliven verziert. Ich starrte in
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