Die Frauen von Savannah
deiner Momma ihren ganzen Problemen zu tun haben, ist einfach abgehaun und hat dich ganz allein gelassen, ohne eine Momma, die dir sagen konnte, wo’s langgeht. Was für ’ne traurige, traurige Geschichte. Komm mal her, mein Kind.« Sie klopfte auf ihren Schoß. »Ich geb dir was Zucker.«
Ich verstand zwar nicht, was sie meinte, stand aber auf ihr Drängen hin auf. Sie hob mich auf ihren Schoß, ich ließ mich an ihre Schulter sinken und atmete ihren Duft ein. Sie roch nach warmem Zimt, nach Güte und Freundlichkeit.
»Das sind ja mächtig wilde Geschichten von deiner Momma. So was kann sich keiner ausdenken. Miz Tootie hat gesagt, du hast es schwergehabt da oben im Norden, und da hat sie wohl recht gehabt.«
Oletta tätschelte mir mit ihrer großen, kräftigen Hand den Rücken, als wäre ich ein Baby und sollte ein Bäuerchen machen. »Ich war schäbig heute Morgen, das tut mir leid. Ich war schlecht gelaunt, weil ich die ganze Treppe raufmusste, um dich zu wecken. Ich hab gestern im Gemüsebeet gearbeitet, und heute hab ich furchtbar Muskelkater. War gar nicht deine Schuld.«
»Schon okay«, sagte ich, wischte mir eine Träne ab und spürte schon die nächste im Augenwinkel.
»Kindchen, Kindchen«, sagte sie schwer atmend. »Da muss ’ne ganze Menge heilen. Aber der liebe Gott hat dich an den richtigen Platz geschickt. Auf seiner grünen Erde gibt es niemand, der ein größeres Herz hat wie Miz Tootie. Wenn du erst mal richtig angekommen bist und ich ein bisschen Fleisch auf deine Rippen gekriegt hab, dann geht’s dir ganz schnell besser.«
Oletta lehnte sich zurück, um mir in die Augen sehen zu können, und dann ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen, als wäre ein Blitz eingeschlagen. Wir flogen hin und landeten auf dem Boden. Nachdem ich mich von dem Schrecken erholt hatte, richtete ich mich auf die Knie auf. Aber Oletta lag einfach da, reglos, auf dem Boden ausgebreitet wie ein riesiger Ölfleck.
»Oletta. Oh nein. Aufwachen, bitte.« Aber sie rührte sich nicht. Ich rief ihren Namen und drückte ihr die Hand und sah nach, ob sie atmete. Ich tätschelte ihr die Wange. »Oletta … Oletta?« Endlich öffnete sie die Augen und sah mich verwirrt an. Ich beugte mich zu ihr. »Oh Gott. Alles in Ordnung?«
Sie hob die Hand, zog eine Grimasse und rieb sich die Stirn. »Was ist passiert?«
»Der Stuhl ist zusammengekracht.«
Sie war einen Moment lang still und sah sich langsam und verwirrt im Zimmer um.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich und tätschelte ihr den Arm. »Soll ich den Notarzt rufen?«
Oletta grunzte und setzte sich mühevoll auf. Sie griff nach einem Stück des geborstenen Stuhls und betrachtete es genau. » Ich brauch keinen Notarzt, aber der Stuhl hier.«
Ich nickte. »Sieht allerdings eher nach Bestatter aus.«
Oletta sah mich sehr seltsam an, dann brach sie in das herzlichste Gelächter aus, das ich je gehört hatte. Ihr Lachen war üppig und herzerwärmend, so dick und weich wie Pudding. Ich setzte mich neben sie auf den Boden, und wir lachten uns zusammen kaputt.
Mein Traum hatte sich schon erfüllt. Ich hatte eine Freundin in Savannah.
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Kapitel 7
A n meinem zweiten Tag in Savannah frühstückten Tante Tootie und ich zusammen. Als sie ihren Kaffee ausgetrunken hatte, stand sie auf und ließ ihre Serviette auf den Tisch fallen. »Ich habe später noch eine Sitzung mit den Treuhändern der Historic Savannah Foundation , aber wollen wir erst mal einen Spaziergang durch den Forsyth Park machen?«
»Klar.«
Bevor wir losgingen, setzte Tante Tootie einen verblichenen Strohhut auf und holte eine Tüte Sonnenblumenkerne aus der Speisekammer. Im Park schlenderten wir umher, redeten und warfen den Vögeln und Eichhörnchen Sonnenblumenkerne hin.
»Tante Tootie, hast du eigentlich Kinder?«
»Taylor und ich wurden leider nie mit Kindern gesegnet, aber es gibt ein reizendes kleines Mädchen in meinem Leben.«
»Wie heißt sie?«, fragte ich mit einem seltsam eifersüchtigen Zwicken.
Meine Tante legte den Arm um mich und drückte mich. »Sie heißt Cecelia Rose Honeycutt.«
Ich lächelte zu ihr auf.
»Savannah ist wirklich hübsch. Ich mag die Bäume«, sagte ich und schaute in ein Gewirr bemooster Äste hinauf. »Hast du schon immer hier gewohnt?«
Sie setzte sich auf eine schattige Bank, und ich setzte mich neben sie.
»Ich bin in Brunswick, Georgia, geboren. Mein Vater hatte ein kleines Schmuckgeschäft, und wir haben in der Wohnung oben drüber gewohnt. Meine
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