Die Frauen
Siehe Fußnote Seite 103.
»ICH WERDE SIEGEN!« rief sie. »Du wirst sehen! Wenn der Pulverdampf sich verzogen hat, werde ich wieder ein Regenbogen sein und - im Namen des Unsterblichen - ein Feueraltar, den Du in die Hölle verbannen wolltest. Ich werde einen Kranz aus Rosen flechten und Dir um den Hals legen. Du wirst ihn als Sklavenjoch bezeichnen und verfluchen, doch das macht nichts. Du fürchtest Dich vor dem Licht, das ich Dir bringe. Du kauerst in Finsternis. Komm, nimm meine Hand, ich werde Dich leiten.«
Und ihr letztes Wort, in dessen Knappheit und Zurückhaltung ganze Welten von Liebe, Schmerz und leidenschaftlichem Bedauern mitschwangen, lautete schlicht: Miriam.
Und dann traf sie, von allen Sünden gereinigt, auf dem Hochaltar des Westens ein: Albuquerque, Santa Fe, Taos. Morgens ging sie barfuß. Sie betete zum Himmel. Trank eau naturelle und aß ungesäuertes Brot. Hüllte sich in durchscheinende Gewänder und ließ Jesus und Mary Baker Eddy ihre Seele heilen. Die Zeit war ein Berg. Wasser floss, Wind wehte. Sie sah, wie die Adler sich im Aufwind über dem Sangre-de-Cristo-Massiv in die Höhe schraubten, als bärgen sie in ihren Schwingen alle Macht des Universums -vielleicht waren es auch Geier, doch das spielte keine Rolle. Sie war da. Sie lebte dem Augenblick.
Nach und nach wurden seine Briefe sanfter. Schuldgefühle nagten an ihm: Er hatte sie verführt und verlassen, obgleich sie, von der Gesellschaft geschmäht, alles für ihn aufgegeben hatte. Das begriff er nun und bat sie um Vergebung. Er schickte ihr Geld.
Er brauchte sie. Er sehnte sich nach ihr. Er flehte sie an, zu ihm zurückzukehren - nicht bloß nach Chicago, sondern nach Taliesin, wo sie die Herrin des Hauses sein sollte. Und sie? Sie ließ ihn im ungewissen, sie genoss ihre Macht, ihre Hand über dieses ganze weite ungezähmte Land hinweg nach ihm auszustrecken und ihn um so fester in ihrem Griff zu halten. Was machte es schon, dass es eine rein fleischliche Liebe war? Er brauchte sie. Und er würde ja sehen, was sie ihm darüber hinaus geben konnte, über den Fluch des Sex hinaus - ja, sie warf ihm seine eigenen Worte direkt vor die Füße. Sie würden, schrieb sie ihm, gemeinsam durch die Welt gehen, Hand in Hand, Schritt für Schritt, und in ihrer Erhabenheit die Götter selbst herausfordern.
Im Juli kehrte sie nach Chicago zurück. Und Ende August war sie in Taliesin.
Kapitel 4
FLEISCH UND BLUT
Er war einsam, darauf lief es hinaus. Obwohl seine Tage in Taliesin ausgefüllt waren und er vollkommen in der gut voranschreitenden Arbeit aufging, obwohl er die Gesellschaft seiner Kinder und Mutter Breens Fürsorge genoss, obwohl er ausritt und sich um die Farmarbeit kümmerte, obwohl er Picknicks und Scharaden veranstaltete, Brettspiele spielte und abends am Lagerfeuer sang, bis er dachte, seine Lunge würde platzen, sehnte er sich nach der Berührung einer Frau. Miriam hatte recht. Mamah war ein Geist, sie war tot und vergangen, und mit einem Geist konnte man nicht das Bett teilen. Der Gedanke mochte gefühllos erscheinen - Mamah war noch nicht einmal ein Jahr unter der Erde, und doch war ihr Bild in seiner Erinnerung verblasst, als wäre sie vor hundert Jahren gestorben, und vielleicht war das ein Trick des Gehirns, ein Abwehrmechanismus, um die Fesseln der Trauer ein wenig zu lockern, damit sie ihm nicht alle Luft aus der Lunge und alles Blut aus dem Herzen drückten - doch vor seinem inneren Auge sah er einzig und allein Miriam. Miriam, die sich im Kerzenlicht auszog, die ihn lockte, die sich darbot, die sich nackt auf die Ecke des Bettes setzte und ihn auf sich zog, Miriam mit nackten Brüsten über der berückenden, seidigen Wölbung ihres Bauches, das Kleid in Fetzen, Miriam, die ihm zurief: Sieh mich an, ich bin aus Fleisch und Blut, Fleisch und Blut!
Nun, er auch. Und er ertappte sich dabei, dass er sein Gesicht in ihren Briefen vergrub und die letzten schwachen Reste ihres Duftes einsog, während er sich fragte, was sie eigentlich in New Mexico tat - hatte sie sich einen anderen Liebhaber gesucht, war es das? Sie war eine unvergleichliche Schönheit, elegant, brillant, weltgewandt, und wenn er schon in Chicago nicht ihresgleichen gesehen hatte, was dachten dann die Hidalgos dort unten unter dem weiten Himmel über sie? Er stellte sie sich in den Armen eines hochgewachsenen, schnurrbärtigen Mannes mit Sombrero vor, einer sonnenverbrannten Mischung aus Tom Mix und Teddy Roosevelt, und spürte ihren Verlust
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