Die Frauen
aber auch distanziert, als schriebe er an eine Tante oder Schwester, die zu einer Mission im Ausland unterwegs war -, mit einemmal entschiedener, als hätte er schließlich erkannt, dass eine Versöhnung zwischen ihnen unmöglich war. Indem Brief, der sie am meisten verletzte, der sie aus seinem Haus und in ein Abteil erster Klasse in einem Zug nach Albuquerque* trieb, erging er sich in zärtlichen Erinnerungen, besonders als er sich über ihren Charme ausließ und darüber, wie erregend es sei, sie zu kennen und zu lieben, und wie schrecklich er sich fühle, weil er sie verlassen habe. Dennoch war es ohne jeden Zweifel ein Abschiedsbrief. Weil er ein Kleingeist war. Weil die Liebe - jedenfalls die Liebe zu ihr - nach und nach unvermeidlich zum Ruin führen musste. »Die Vernunft ist verschwunden!« schrieb er und verlieh mit seiner überspannten Interpunktion der Apostrophe noch mehr Nachdruck. »Die Nächstenliebe ist verschwunden -Jetzt kommt Angst - Hass - Rache - Strafe - Dann Reue - Scham - Erniedrigung - Untergang, Es ist die breite Straße - hört mich, ihr strebsamen Seelen! Sex ist der Fluch des Lebens!«
* Warum Albuquerque? Das scheint niemand zu wissen. Wie wir gesehen haben, war es Miriams Muster, immer weiter nach Westen zu gehen, obgleich doch der Osten, sollte man meinen, das adäquatere Ziel gewesen wäre. Vielleicht - doch dies ist bloße Spekulation - hatte sie einen Rest des großen amerikanischen Pioniergeistes in sich, ein persönliches Gefühl der offenkundigen Bestimmung.
Während der ganzen trübseligen Reise durch das Land brütete sie über dieser hässlichen Behauptung: Sex, der Fluch des Lebens. So hatte er am Heiligabend nicht gedacht, als er zweimal hintereinander und am nächsten Morgen schon wieder mit ihr geschlafen hatte, der Geburt Christi und den heiligen Gesängen des Chors der himmlischen Heerscharen zum Trotz. Oder in den darauffolgenden Wochen, als er sie in seinem Haus untergebracht hatte, als wäre sie eine Haremsdame, und über sie hergefallen war, wann immer ihn das Verlangen überkommen hatte, also zu jeder Tages- oder Nachtzeit, denn er war geil wie ein Ziegenbock, der lüsternste Mann, dem sie je ausgesetzt gewesen war - dergleichen hatte sie nicht einmal in Frankreich oder Italien erlebt. Und nun war Sex also plötzlich der Fluch des Lebens. Er verdrehte alles, dieser Heuchler, er stellte es so hin, als wäre es ihre Schuld, er reduzierte die gewaltige Größe dessen, was sie miteinander geteilt hatten, auf eine vulgäre Funktion zur Erlangung sexueller Befriedigung, als wären sie Affen im Dschungel oder etwas ähnlich Verkommenes. Nun, das würde sie nicht unwidersprochen lassen. Und so schrieb sie zurück, Seite um Seite, und ihre Gefühle brannten in ihren Fingerspitzen und ihrem Füllfederhalter, und die Tinte versengte das Papier.
Sie nahm ihn heftig unter Beschuss, natürlich tat sie das, aber sie drückte auch die Größe ihrer Liebe aus - und es handelte sich, daran erinnerte sie ihn, nicht um eine bloße Verliebtheit, sondern um eine reife und spirituelle Liebe, die im Widerspruch zu den kleinlichen Konventionen einer von kleinlichen Regeln beherrschten Gesellschaft stand.* Sie würde nicht nach Taliesin kommen, nicht einmal, wenn er sie darum bäte.
Sie konnte es nicht. »Denn dort geht ein Geist um, der nicht von einem Menschen gestört werden darf, der Dich zutiefst liebt.« In diesem Stil ging es weiter - sie zitierte alle möglichen schauerlichen Anspielungen auf Friedhöfe, Eiben und dämonische Liebhaber und machte ihm dann Vorhaltungen. Konnte er, ausgerechnet er mit seiner hochentwickelten Sensibilität und kreativen Brillanz, nicht sehen, dass diese Sehnsucht nach einem Geist falsch war, billig, nichts weiter als eine bloße Sentimentalität, ein armseliger, zweitklassiger Ersatz für echte Liebe und Treue? Und sie fragte ihn bescheiden und aufrichtig, ob er nicht dankbar ein armes, liebendes Herz als Geschenk entgegennehmen könne, das er auf unvorstellbare Weise verletzt habe. Er war derjenige, der Unrecht getan hatte - konnte er das nicht sehen? Konnte er nicht erkennen, was sie ihm da anbot, obwohl sie von einer gnadenlosen, nach billigen Moralvorstellungen lebenden Gesellschaft verurteilt und verstoßen worden war, weil sie sich der »Sünde« schuldig gemacht hatte, ihn zu lieben? Während sie schrieb - versunken und aufgewühlt, wütend und von Liebe überfließend zugleich-, spürte sie, dass ihre Kraft zurückkehrte.
*
Weitere Kostenlose Bücher