Die Frauen
verfolgte, »aber wohin bringst du mich eigentlich?« Abermals ein Blick unter der Hutkrempe hervor. Ihr Lächeln strahlte jetzt, ihre Augen tanzten, ihre Lippen waren voll. Und feucht. Angefeuchtet von der rosigen Spitze ihrer Zunge. »Und was hast du dort vor?«
* William Carey Wright, 1825-1904. Angeblich einer der charmantesten und charismatischsten Männer seiner Zeit, der sich für Wrieto-Sans Mutter allerdings leider als zu unzuverlässig, zu unstet und im Hinblick auf den Erwerb eines Lebensunterhaltes als zuwenig zielstrebig erwies. Anna ließ sich von ihm scheiden und begab sich in die Umarmung ihrer Familie, der im fruchtbaren Wyoming-Tal von Wisconsin ansässigen Lloyd Jones. Wrieto-San war damals siebzehn. Kurz darauf änderte er seinen zweiten Vornamen von »Lincoln« zu »Lloyd«.
Einen Augenblick lang suchte er nach Worten. Zwischen ihnen lag noch immer die offene, blutende Wunde Taliesin, und sein rednerischer Schwung, der leichtfüßige Tanz der Worte, geriet ins Straucheln. »Ich, na ja, ich dachte, wir könnten vielleicht ... natürlich nur, wenn du nichts dagegen hast, und ich weiß ja, dass du erschöpft sein musst-«
»Zum Garfield?« sagte sie, und die Art, wie sie es sagte - so beiläufig, so anmutig, so lüstern -, ließ diese beiden Wörter verführerischer klingen als alles, was er je gehört hatte.
»Nein«, antwortete er grinsend, und zum erstenmal, seit sie im Wagen saßen, berührte er sie an einer intimeren Stelle, am Oberschenkel, wo der Stoff ihres Kleides straff gespannt war, seit sie auf dem Sitz Platz genommen hatte. »Ich dachte an das Congress.«
Zwei Tage später - blieb ihm eine andere Wahl? - brachte er sie wieder in das kleine Haus in der East Cedar Street und gab sich die größte Mühe, ihre Stimmungen und Eigenheiten in bezug auf Fragen der Ernährung zu ertragen, ihre blumigen Reden über Kunst und Literatur und ihr fortwährendes Insistieren, er solle ihr für eine Marmorbüste Modell sitzen. Er habe keine Zeit, Modell zu sitzen, protestierte er immer wieder (sanft, sehr sanft). Er sei ein vielbeschäftigter Architekt und habe sich weltlichen Dingen zu widmen. Und überhaupt seien Büsten etwas für tote Helden, für militärische Führer und dergleichen. Nein, widersprach sie, keineswegs - er solle nur an Rodins Büste von Balzac denken. Von Hugo. Gewiss, diese seien in Bronze ausgeführt, doch Marmor sei für die Ewigkeit - wie er. Er hätte entgegnen können, für die Ewigkeit sei lediglich die Architektur, doch er behielt diesen Gedanken für sich. Ihm stand der Sinn vor allem nach Harmonie, und er war entschlossen, sie diesmal herzustellen und nicht nur zu nehmen, sondern auch zu geben, denn er hatte die lange, zermürbende Qual ihrer Abwesenheit ertragen müssen. Wenn er sie verwöhnen musste, wenn er hier und da ein Kissen oder hin und wieder ein französisches Essen ertragen musste - na, wennschon. Sie war sein Stern, seine Fackel, sein Impetus. War er verliebt? Er konnte es nicht sagen. Doch sie war an seiner Seite, wenn er ein Konzert besuchte, wenn er irgendwo dinierte oder einfach einen Spaziergang machte, und nachts war sie in seinem Bett, so warm und liebevoll und virtuos, wie ein Mann es sich nur erhoffen, erbitten oder erträumen konnte.
Es war unvermeidlich, dass das Thema Taliesin wieder aufkam. Das geschah eines Morgens im Rahmen einer ganz normalen Unterhaltung beim Frühstück. Die neue Köchin, eine schielende junge Frau mit einem Fuchsgesicht und dem Akzent eines Bergmanns aus West Virginia, deren Stärke die einfachen Speisen waren - Pfannkuchen und Speck, doppelseitig gebratene Spiegeleier, Maisgrütze und heißer Kaffee -, hatte soeben das Frühstück serviert und sich dann wieder in die Küche zurückgezogen, und er hatte gerade einen Zeitungsartikel über die Baukosten eines jener Wolkenkratzer kommentiert, die an der Michigan Avenue hochgezogen wurden, als Miriam von ihrer Zeitung aufsah und sagte: »Wäre es nicht an der Zeit, mit mir nach Wisconsin zu fahren?«
Sie war ganz in Weiß gekleidet, in einen enganliegenden seidenen Morgenrock, und ihr Haar lag offen auf den Schultern. Die Lorgnette baumelte von ihrer Hand und schwang hin und her wie die Taschenuhr eines Hypnotiseurs. Die andere Hand hielt mit zartem Griff eine Teetasse. Miriam lächelte freundlich, unbekümmert - die Frage war so unschuldig wie eine Erkundigung nach dem Wetter oder danach, in welcher Farbe er sie heute gern sehen wollte.
Er zögerte keinen
Weitere Kostenlose Bücher