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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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einen vom Staat Illinois bestellten moralischen Vormund verwandelt und machte ihrer Mutter brieflich wie telefonisch Vorhaltungen, weil sie ganz offen mit einem verheirateten Mann zusammenlebte - als wüsste ein solches Kind, das eine jämmerliche, freudlose Ehe mit einem Mann führte, der ihr in jeder Hinsicht unterlegen war, irgend etwas von Leidenschaft und höheren geistigen Dingen. Miriam war nach Besuchen bei der Hutmacherin, ihrem Schneider und einem halben Dutzend der weniger armseligen Geschäfte, in denen man nichtsdestoweniger nur Dinge fand, die in Paris vor zwei Jahren Mode gewesen waren, soeben ins Hotel zurückgekehrt, als es an der Tür klopfte. Es war Leora.* Ihr Gesicht war gerötet. »Ich muss dich verpasst haben - ich weiß gar nicht, wie. Ich habe stundenlang in der Halle auf dich gewartet...«
     
    * Bevor ihr Mann, der Börsenmakler, sich zur Ruhe setzte und sie des angenehmeren Klimas wegen an die Westküste zogen, lebte Leora in Chicago. Siehe Seite 353.
     
    »Aber warum denn? Was ist passiert?«Leora seufzte nur, verzog das Gesicht und warf einen raschen Blick durch den Korridor, wo zwei Männer mit bunten Krawatten witzelnd und lachend in den Aufzug stiegen, bevor sie ins Zimmer schlüpfte und sich in den nächsten Sessel fallen ließ, als hätte sie ein Schlag getroffen. »Er ist doch nicht hier, oder?« flüsterte sie und spitzte die Lippen, demonstrativ besorgt. Ihr Blick ging zur Schlafzimmertür und wieder zurück. »Wer? Frank?«
    »Er ist nicht hier, oder?«
    »Nein, er ist in seinem Büro. Er arbeitet. Das weißt du doch - er arbeitet die ganze Zeit, er schuftet wie ein Sklave, Tag und Nacht. Wieviel Energie dieser Mann hat« - und hier gestattete sie sich ein vielsagendes Lächeln, denn sie hatte Leora bereits einigermaßen detailliert von ihren Nächten mit Frank erzählt.
    »Hast du eine Zigarette?«
    Ohne zu antworten, ging Miriam zum Tisch am Fenster, auf dem ihre geöffnete Handtasche lag, nahm mit einem geistesabwesenden Blick auf das Mosaik der sonnenbeschienenen Dächer unter ihr und die weite, blaue, leere Fläche des Sees dahinter ihr Zigarettenetui heraus und kehrte mit ausgestreckter Hand zu Leora zurück. Dabei dachte sie an die Hüte, die sie gekauft hatte, an die Schuhe, und erwog, sie Leora vorzuführen, denn sie respektierte das Urteil ihrer Freundin, auch wenn diese sich, bei Licht betrachtet, nicht sonderlich originell kleidete. Sie gab Leora Feuer, zündete sich selbst ebenfalls eine Zigarette an - zum Teufel mit Frank: Sie rauchte, wann und wo immer es ihr passte - und setzte sich in den Sessel neben Leora. »Also«, sagte sie, zog an ihrer Orientzigarette und stieß eine dicke blaue Wolke aus, »was ist denn nun mit Frank? Irgendwas in den Zeitungen?«
    »Es ist diese Haushälterin«, sagte Leora. Sie flüsterte noch immer, als befürchtete sie, jemand könnte sie belauschen - dabei war Frank zur Arbeit gegangen, und die Wände waren so dick, wie man es von einem amerikanischen Hotel erwarten konnte. »Mrs. Breen?«
    »Ja. Was ist mit ihr?«
    »Anscheinend hat sie ein paar Briefe an sich gebracht, Briefe, die du Frank geschrieben hast, als ihr getrennt wart. Und mit denen ist sie zur Zeitung gegangen.«
    »Aber wie soll sie -« Die Antwort lag auf der Hand, noch bevor sie die Frage ausgesprochen hatte - und natürlich hatte sie ohnehin nur laut gedacht. Vor Miriams innerem Auge erschien das verhasste, verkniffene Gesicht dieser aufgeblasenen kleinen Frau, wie sie, unter dem Vorwand zu putzen oder Staub zu wischen oder was immer sie in Taliesin getan hatte, wenn sie nicht mit ihren übelriechenden Töpfen voller fader, fettiger, zerkochter Verpflegung beschäftigt gewesen war, Franks Schubladen durchwühlt hatte. Die Verschlagenheit dieser Frau - wie hatte Frank sich nur mit solchen Leuten umgeben können? Wie hatte er sie auch noch verteidigen können?
    Mutter Breen hatte er sie genannt, und bevor sie, Miriam, ihm den Kopf gewaschen hatte, war er sogar voll des Lobes für die Tüchtigkeit und - erstaunlicherweise - die Kochkünste dieser Frau gewesen.
    »Ich habe den Ausschnitt mitgebracht, für den Fall, dass du die Zeitungen noch nicht gelesen hast.« Unter der steifen Krempe ihres Hutes beugte Leora den Kopf und kramte in ihrer Tasche. »Hier ist er«, sagte sie, reichte Miriam einen ordentlich gefalteten Teil der Morgenzeitung und sah sie mit großen Augen und flatternden Lidern an, als erwartete sie, dass ihre Freundin unter der Wucht dieser wenigen

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