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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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tiefe Antipathie. Eine Kälte. Als hätte sich eine Mauer aus Eis, ein tausend Jahre alter Gletscher zwischen ihnen erhoben. Frank hatte sie an seinem Arm in den Raum geführt, und bevor sie auch nur Gelegenheit gehabt hatte, einmal tief Luft zu holen - all diese schönen, erlesenen Dinge -, war seine Mutter auf sie zugekommen wie eine auferstandene Tote: hochgewachsen, dürr, weißhaarig, mit abschätzigem Blick und einem so verkniffenen Mund, dass es ein Wunder war, dass darin noch Zähne waren. »Enchantée«, hatte Miriam gemurmelt und ihre Hand geschüttelt, doch die Alte hatte nicht geantwortet, sondern bloß Frank angesehen und in einem Ton, als klopfte sie gerade den Schlamm von den Stiefeln, gesagt: »Das ist also diese Pariserin?« Erst dann hatte sie Miriam eines Blickes gewürdigt. »Oder sollte ich sagen: diese Pariserin aus Tennessee?«
    Drei Tage. Zur Hölle mit ihnen. Zur Hölle mit allen. Genau betrachtet wäre sie lieber wieder in Taos gewesen, frei von diesen Verwicklungen und Feindseligkeiten, und sie verschloss die Augen vor der leeren weißen Zimmerdecke und sah sich im kühlen, klaren Bildhauerlicht des Gebirges mit ausgebreiteten Armen über eine Wiese voller Wildblumen tanzen, in der leisen Brise umspielt von reiner, weißer Seide. Aber Frank war nicht in Taos, Frank war hier. Dies war sein Heim, seine Zuflucht, sein Elfenbeinturm, der sich über einem Ödland erhob, geprägt von Bäuerlichkeit und schlechtem Geschmack, und ihr Platz war an seiner Seite. Und er sorgte sich um sie, das war deutlich zu sehen: Sein Gesicht war ernst, seine Stimme war sanft und bekümmert, er war der fürsorglichste Mann der Welt. Er kam sicher zwanzigmal am Tag, um nach ihr zu sehen - Brauchte sie irgend etwas? Ging es ihr schon besser? Wollte sie nicht vielleicht doch zum Essen kommen? -, und nachts ergoss er sein ganzes Sehnen über sie.
    Wenn sie im Dunkeln nebeneinander dalagen, pries sie ihn, pries die Kraft seiner Vision und seines Genies und die Art, wie seine große, freigebige Seele sich in den Balken manifestierte, die sich über ihnen erhoben, und in dem heiligen Raum, den er dadurch geschaffen hatte. Sie nahm seine Hand und drückte sie. Und sie pries ihn, denn Lob und Preis war ihr Hauptthema und ihr Modus operandi - doch es gab hier noch ein zweites Thema, und das nahm Gestalt an, als sein Atem langsamer ging und die Nacht voranschritt. »Frank«, flüsterte sie, »Frank, bist du noch wach?«
    Aus dem Schlaf geweckt und mit schwerer Zunge sagte er: »Ja, ich höre.«
    »Deine Mutter, Frank. Und diese schreckliche Haushälterin. Ich kann« - sie erhob ihre Stimme -, »ich werde diese Kränkungen nicht mehr ertragen. Wer ist hier die Herrin im Haus? Sag es mir, Frank. Sag es mir.«
    Am Abend des dritten Tages trat sie zum Abendessen aus ihrem Zimmer und nahm ihren Platz neben Frank ein, als hätte sie dort jeden Abend gesessen, seit das Dach gedeckt und der Tisch hereingetragen worden war. Diesmal nahm sie an der Unterhaltung teil, und es war ihr vollkommen gleichgültig, ob es den anderen gefiel oder nicht. Sie hatte zu jedem Thema etwas zu sagen, ob es nun um Politik, Farmwirtschaft, Pariser Mode oder das Wetter ging, und sie machte allen klar - Franks Mutter und seinen erwachsenen Kindern, seinem heranwachsenden Jungen mit dem offenen, ehrlichen Gesicht, wie er selbst es vor langer Zeit wohl ebenfalls gehabt hatte, den Zeichnern, dem mit seiner Frau zu Besuch weilenden Architekten und allen anderen -, dass sie keinem von ihnen nachstand und dass dieser ganze Haushalt von nun an nach einer neuen Pfeife tanzen würde, und zwar ganz allein nach ihrer.
    Sie wusste etwas, was sie nicht wussten. Sie wusste, dass Nellie Breen in wenigen Tagen weggeschickt werden würde, genauer gesagt, sobald Frank einen Ersatz für sie gefunden hatte, und dass er am nächsten Morgen ein langes Gespräch mit seiner Mutter führen würde, wobei er besonders darauf hinweisen wollte, dass ihre neuen Räumlichkeiten - ja eigentlich das ganze Gebäude - noch nicht fertiggestellt waren und sie es, angesichts der Tatsache, dass der Sommer sich dem Ende zuneigte und es schon bald empfindlich kalt werden würde, in Oak Park doch behaglicher haben würde. Zumindest zeitweilig. Und sie wusste, dass sie nur in ihr beengtes und verdunkeltes Zimmer zurückkehren würde, um ihre Sachen zu packen und das Dienstmädchen anzuweisen, die Koffer über den Hof, durch die Loggia und in Franks Zimmer zu tragen.
    Sie hatte nicht mit Nellie

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