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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Zeilen zusammenbrechen würde. »Sie wirft Frank vor, gegen den Mann Act verstoßen zu haben. Und dich hat sie - ist das nicht unglaublich! - als Ausländerin ohne Aufenthaltserlaubnis gemeldet, und in der Zeitung steht, dass man dich ausweisen will.«
     
    * Der Mann Act, ein Gesetz, das Wrieto-San, wie wir bereits gesehen haben, ernste Schwierigkeiten bereitete, war erst funf Jahre zuvor verabschiedet worden und richtete sich gegen Zuhalter, Kuppler und Verfuhrer, die Frauen zum Zweck der Prostitution von einem Bundesstaat in den anderen beforderten. In erster Linie sollte damit die sehr reale Gefahr der ≫ weisen Sklaverei ≪ bekampft werden: Man bot jungen Immigrantinnen (oft kaum dass sie in Ellis Island an Land gegangen waren) eine Stelle an; die Frauen, die sich darauf einliesen, wurden mit Opium betaubt, eingesperrt, durch Vergewaltigungen, Hunger und Schlage ihrer Würde und Individualität beraubt und schließlich an Bordelle verkauft. Mrs. Breen muss eine der ersten gewesen sein, die versuchten, dieses Gesetz zur Schikane und Einschüchterung zu benutzen.
     
    Tatsache war, dass Miriam ohne ihre Brille nicht viel mehr als die Schlagzeile lesen konnte - NEUER SKANDAL IN WRIGHTS LIEBESNEST -, doch noch bevor sie aufstehen und danach suchen konnte, hörte sie sich sagen: »Mich ausweisen? Aber in meinem Pass steht klar und deutlich, dass ich amerikanische Staatsbürgerin bin. Das ist ja lachhaft. Er ist zwar vom amerikanischen Konsulat in Frankreich ausgestellt, aber ... du weißt, dass ich Amerikanerin bin. Alle wissen das. Was um alles in der Welt soll das heißen: mich ausweisen?«*
     
    * Hier wirft die Zukunft einen eigenartigen Schatten voraus. Man kann nur spekulieren, inwiefern diese Erfahrung Miriams Entscheidung beeinflusst hat, Olgivanna zehn Jahre später unter demselben Vorwand bei der Einwanderungsbehörde anzuzeigen.
     
    Leoras Stimme wurde sachlich. »Ehrlich gesagt, Miriam: Ich weiß es nicht. Aber sie ziehen deinen Namen durch den Schmutz. Und deinen Ruf ebenfalls.« Sie räusperte sich, klopfte die Asche von der Zigarette und griff nach dem Ausschnitt. »Sie schreiben, dass du und Frank - sie nennen dich übrigens >die bekannte Pariser Bildhauerin< - in seinem >Liebesnest< allen landläufigen Moralvorstellungen zum Trotz zusammenlebt und dass Mrs. Breen es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte zu schweigen. Anscheinend ist sie sehr fromm, römisch-katholisch - das sind die Schlimmsten, die Allerschlimmsten. Und sie hat gesagt -« Leora zögerte und klappte die Augen auf und zu, bis Miriam dachte, sie hätte eine Art Tick entwickelt, wie der alte Mann mit dem Ödem, der den ganzen Tag im La Rotonde gesessen, das Gesicht verzogen und in sein Taschentuch gespuckt hatte und der jetzt höchstwahrscheinlich tot war, gestorben an Zwinkern, Zittern und Spucken. Oder vielleicht an Verzweiflung. Vielleicht war es das, was ihn umgebracht hatte.
    Sie spürte das metallische Brennen der Empörung in ihrer Kehle, obgleich sie zugleich höchst erfreut war - die bekannte Bildhauerin! -, und erhob sich, vor Hass und Spannung zitternd, aus ihrem Sessel. »Was hat sie gesagt?«
    »Tja« - wieder heftiges Zwinkern -, »sie hat gesagt, dass sie es wegen der Kinder melden musste.«
    »Kinder? Was für Kinder?«
    »Franks Kinder. Sie sagt, die waren auch da.«
    »Franks Kinder?« Sie musste sich einen Augenblick besinnen. Eine Reihe von Bildern ging ihr durch den Kopf - Thomas in Windeln, die Mädchen, die plaudernd eine Puppe versorgten, mit lockigen Haaren und Kleidern, die wie ausgebreitete Fallschirme auf dem Boden lagen, die glitzernden schwarzen Augen irgendeines Kindes in einem Kinderwagen, winzige, perfekt geformte Finger und Zehen, rosige Haut in einem Schaumbad -, aber keines von ihnen schien irgend etwas mit Frank zu tun zu haben.
    Kinder? Frank hatte keine Kinder.
    »So steht es da.«
    »Aber das sind keine Kinder mehr. Sie sind erwachsen. Herrgott, zwei von ihnen sind verheiratet. Und der Jüngste - er ist, glaube ich, zwölf oder dreizehn - ist in der Woche, als ich dort angekommen bin, zurück zur Schule gegangen. In Chicago. Oder Oak Park.
    Zu seiner Mutter.«
    Leora zuckte betont die Schultern. »Du weißt das. Ich weiß es ebenfalls. Aber es sind trotzdem seine Kinder.«
    Franks Reaktion bestand darin, sie noch am selben Abend mit dem Wagen zurück nach Wisconsin zu fahren, als wären sie Flüchtlinge. Am nächsten Tag - es war Anfang November, die Felder waren mit Rauhreif überzogen,

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