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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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den ganzen Weg von der Stadt hierhergekommen? Oder vielleicht ein Auftraggeber? Und dann konnte sie plötzlich, durch eine Laune der Luftströmungen, eine der fremden Stimmen deutlich verstehen: »Sie wollen also sagen, dass es zwischen Ihnen und Madame Noel keinerlei amouröse Verbindung gibt? Dass sie lediglich eine Geistesverwandte ist wie Mrs. Borthwick?« Und sie begriff: Reporter. Die Reporter waren hier.
    Frank sagte etwas, was sie nicht genau verstehen konnte - er schien auf und ab zu gehen -, doch dann hörte sie auch seine Stimme klar und deutlich: »Ja, das stimmt.
    Da Mrs. Breen, wie Sie wissen, entlassen ist, habe ich Madame Noel als Haushälterin eingestellt.«
    Haushälterin? Sie eine Haushälterin? Was fiel ihm ein?
    »Aber«, unterbrach ihn die andere Stimme wieder, eine dünne Stimme, quäkend und schmeichlerisch, »Sie können doch nicht leugnen, dass diese Briefe den gegenteiligen Eindruck erwecken.«
    Sie hörte nicht, was Frank darauf antwortete, denn sie war mit einemmal in Bewegung, sie musste sich ankleiden - das weiße Seidenkleid, eine Perlenkette, ihre Ringe. Das war ihre Chance, die Wahrheit bekanntzumachen, zu zeigen, wie es in ihr, in ihrem Herzen aussah, damit die ganze Welt es erfuhr. Sie fühlte sich beinahe, als würde sie träumen, als sie durch die Loggia ging, deren Fenster einen Ausblick auf die grauen, überfrorenen Schneewehen boten. Ihre Füße waren bloß wie die einer Jungfrau, und das Kleid fiel mit der schlichten Eleganz, die die Griechen zur Vollendung gebracht hatten, über ihren Bauch und ihre Arme und Beine. Kythereia. Sie war die veilchenbekränzte Kythereia, die Schaumgeborene, eine Göttin, die gleitend über den Teppich schritt, in das Wohnzimmer, wo die beiden Fremden - der eine hatte eine Glatze, der andere nicht - herumfuhren und sich praktisch zerrissen, als sie aufsprangen, um sich vor ihr zu verbeugen. »Ja«, sagte sie, verzaubert vom Klang ihrer eigenen Stimme, »ja, es stimmt: Ich liebe ihn!«
    Die Sache ging nicht ganz so aus, wie sie gedacht hatte. Frank war, anfangs jedenfalls, wütend auf sie, stand jedoch zu ihr und ihrer gemeinsamen Liebe, und das flackernde Feuer und das Heulen des Sturms erzeugten eine romantische Atmosphäre, wie sie selbst der raffinierteste Bühnenbildner nicht hätte erschaffen können. Sie verteidigten eine Liebe, die sich nicht um Konventionen scherte, sondern nach dem Höchsten strebte, ganz gleich, welche kleinlichen Einwände die Bornierten und Engstirnigen dagegen erheben mochten. Zuerst legte Miriam ihre Ansichten dar, dann stimmte Frank ein, und so ging es kontrapunktisch hin und her, bis sie ihr süßes Lied schließlich im Duett sangen und die Reporter in ihre Notizblöcke schrieben, bis ihre Finger taub wurden. Das Foto der schönen Frau mit den sanften Augen und der wohlgeformten nackten Schulter und dem überaus attraktiv in die Ferne gerichteten Blick unter der Schlagzeile MRS. MAUDE MIRIAM NOEL ÜBER FRANK LLOYD WRIGHT: »ICH LIEBE IHN!«
    Das erste veröffentlichte Foto von Mrs. Noel zeigte es keineswegs sie. Erstaunlich.
    Obgleich sie dieser Frau, wer immer sie sein mochte, durchaus ebenbürtig und der Artikel extrem schmeichelhaft war.
    Aber wie hatten sie nur einen solchen Fehler machen können? Jeder, der sie kannte, würde sofort sehen, dass diese Frau jemand anders war - und doch, und doch ... Es war ein ganzseitiges Bild und hätte als ein etwas geschöntes Foto durchgehen können: ein, zwei Jahre jünger, die Haut unter dem Kinn ein wenig straffer. Es war gut. Sehr gut. Man würde sie beneiden, und das war es, was sie im Augenblick vor allem wollte, denn sie war keine verschmähte Frau und nicht im mindesten von Liebeskummer verzehrt - nein, sie hatte ihren Mann, einen der wahrhaft großen Männer dieser Zeit, und das konnte keine andere von sich behaupten.
    Zwei Tage später, am 10. November, brachte die Chicago Tribune einen Artikel, in dem Nellie Breen jeden Erpressungsversuch bestritt, sich jedoch offenbar im Gespinst ihrer eigenen Machenschaften verfing.* In die Enge getrieben, hatte die Frau den Reportern offenbar die Kopie eines Briefes gegeben, den sie am 22. Oktober an Frank geschrieben hatte, in dem sie ihn gewarnt hatte, er und Miriam würden wegen Verstoßes gegen den Mann Act verhaftet werden, und zwar aufgrund von Beweisen, die sich in ihrem Besitz befänden und die so schwerwiegend seien, dass eine Freilassung auf Kaution nicht in Frage kommen werde (offenkundig meinte sie die Briefe, die

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