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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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die am Ende ist, Frank. Wie eine Närrin. Ich stehe da wie eine Närrin - weil ich dich liebe.«
    Und was war seine Reaktion? Dieser Kleingeist, dieser kalte Fisch, der sich nicht einmal erhob, um sie in die Arme zu nehmen und ihr seine Liebe zu schwören, der nicht imstande war, ein Stichwort zu erkennen, sagte: »Ich kann es nicht ändern, Miriam.
    Was geschehen ist, ist geschehen.«
    Als sie am nächsten Morgen erwachte, herrschten ein gleichbleibendes, stumpfes Licht und eine unnatürliche Stille, als hätte die ganze Welt das Gehör verloren. Sie lag allein im Bett. Vor dem Fenster fiel schräg ein nasser, grauer Schnee, und natürlich gab es keine Vorhänge, um diesen Anblick auszusperren - Frank hielt nichts von Vorhängen -, so dass die Außenwelt geradewegs ins Zimmer sprang. Sie hätte ebensogut in Alaska oder so kampieren können: Das Feuer im Kamin war erloschen, ihr Atem hing in weißen Wolken vor ihrem Gesicht, und in dem Wasserglas, das sie auf den Nachttisch gestellt hatte, war eine dünne Eisschicht. Es war zu kalt, um auch nur zur Toilette zu gehen. Zu deprimierend. Unvermittelt fielen ihr die Briefe ein, ihre Scham, ihre Dummheit, und dann dachte sie an ihre Pravaz, doch sie rührte sich nicht, und falls das Dienstmädchen hereinkam, um nach ihr zu sehen, so merkte sie nichts davon. Der Schlaf war wie ein Stein, der ihr auf der Brust lag. Sie schloss die Augen. Als sie wieder erwachte, schneite es noch immer, und es war noch immer kalt, aber irgend jemand hatte den Kamin angezündet, und ihr Bedürfnis war inzwischen so drängend geworden, dass sie es nicht länger ignorieren konnte. Sie fand ihre Pantoffeln und den Morgenrock und machte sich auf den Weg ins Bad.
    Und auch dort war es primitiv, trotz des Bronzebuddhas und der Han-Vasen und der Perserteppiche, denn das Wasser, das aus dem Hahn kam, war so kalt wie flüssiges Eis, und wenn sie baden wollte - und das wollte sie -, musste sie jemanden finden, der Holz holte und den Kessel im Keller anheizte. Sie machte Toilette, so gut es ging, und fühlte sich dabei ein wenig flau. Sie überlegte, ob sie etwas Tee und Toast zu sich nehmen sollte, um ihren Magen zu beruhigen, doch als sie vor dem Spiegel stand und ihr Haar bürstete - jeden Morgen und jeden Abend hundert Striche, wie ihre Mutter es sie gelehrt hatte -, spürte sie eine Schwäche im Darm und musste sich für einen Augenblick setzen. Beinahe zufällig - nein, gewiss nicht absichtlich - streifte ihre Hand dabei das Kosmetiktäschchen, in dem sie ihre Pravaz aufbewahrte, und es dauerte keine Sekunde, bis sie zu dem Schluss kam, was sie brauche, um auf die Beine zu komme, sei eine Spritze. Es war die Kälte, sagte sie sich, der trübselige, gnadenlose Winter, der allen Frostbeulen und Schüttelfrost bescherte, genau wie in Paris, doch dort hatte sie wenigstens in Galerien oder Konzertsälen Zuflucht finden können, in einem Café oder in einem der salons artistiques. Paris, dachte sie, Paris, und spürte, wie Wärme sie durchströmte.
    Und dann erst hörte sie die Stimmen - die von Frank und die eines anderen Mannes, nein, zweier anderer Männer -, murmelnd und miteinander vermischt. Sie schienen durch die Loggia zum Wohnzimmer zu gehen, und das erschien ihr eigenartig: Frank hatte ihr nichts von Gästen gesagt, aber vielleicht war es ihm entfallen. Plötzlich hob sich ihre Stimmung: Hier war endlich die Möglichkeit einer Linderung, einer Erlösung von der Leere des Landlebens, wenn auch nur für ein, zwei Stunden. Aber wer konnte das sein? Frank umgab sich stets mit anregenden Menschen, mit Künstlern, Musikern, Architekten und Schriftstellern, von denen viele über sehr gute Beziehungen verfügten, und wenn diese Gesellschaften auch nie ganz die Brillanz der Pariser Salons erreichten, waren sie doch oft charmant und unterhaltsam. Und Unterhaltung war das, was sie jetzt am dringendsten brauchte.
    Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit, um besser hören zu können. Franks Stimme beherrschte die Runde: Er schien eine Art Rede zu halten, aber er hielt ja ständig und aus dem Stegreif irgendwelche Reden über eine Unzahl von Themen, er »hielt Volksreden«, wie einer seiner ehemaligen Zeichner gesagt hatte - und das hatte er, dessen war sie sich sicher, nicht sehr freundlich gemeint. Franks schöne, volle Tenorstimme wurde jetzt schärfer, während die anderen beiden ihn unterbrachen und ihm widersprachen. Was war da los? Zeigte er Interessenten einige seiner Holzschnitte? War Clarence Darrow

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