Die Frauen
und so weiter -, dass sie und Frank keineswegs die Ehe als solche ablehnten, sondern lediglich einem höheren Gesetz gehorchten. Es gebe schließlich nur eine einzige wirkliche Loyalität, und diese manifestiere sich in einem Lebenswandel, der einer lebendigen, hehren Idee der Liebe und des Lebens gewidmet sei. Dies und nicht weniger sei es, wonach man streben solle.
Und dann machte sie sich mit aller Wortgewalt, die ihr zur Verfügung stand, daran, Nellie Breen zu vernichten: Sie sei nichts als eine Hausangestellte, eine Diebin, ein Musterbeispiel für die verlogene Moral der Mittelschicht, die sich nicht zu schade sei, auf Unehrlichkeit und Diebstahl zurückzugreifen, um ihre fragwürdigen Normen zustützen, eine Verkörperung der Schlange der Heuchelei, die doch eigentlich überall auf der Welt langsam aussterbe, weil die Menschen nicht mehr auf die Gebote längst toter Männer hörten, sondern auf ihr Herz. Der Füllfederhalter glitt so rasch und leicht über das Papier, als wäre ein Geist aus dem Grab gestiegen und führte ihr die Hand - vielleicht Emil, wieder im Vollbesitz seiner literarischen Talente, vielleicht aber auch ihr Vater -, als sie der Welt schließlich zurief: »Bemitleidet mich nicht. Ich bin kein Opfer unerwiderter Liebe. Jede Frau würde stolz meinen Platz einnehmen und den Preis dafür geringachten.«
Als sie fertig war, trat sie ans Fenster und blickte hinaus in den schwindenden Tag. Endlich war die Last von ihr genommen, endlich fühlte sie sich frei, und obwohl sie darauf brannte, den Brief Frank zu zeigen (der jedoch in seinem Studio war) oder Leora oder irgend jemandem sonst, verschloss sie den Umschlag, versah ihn mit einer Briefmarke und ging zur Garderobe, um ihren Mantel zu holen. Während sie ihn zuknöpfte, den Hut zurechtrückte und ihre Handschuhe anzog, betrachtete sie sich im Spiegel und starrte sich in die Augen, allerdings nicht zu tief. Es war eindeutig ein Leuchten um sie, und als sie hinaus in die Kälte trat und die Straße hinunter zum Briefkasten an der Ecke ging, spürte sie, dass die Blicke der Menschen auf ihr ruhten, und wandte sich ihnen, Männern wie Frauen, würdevoll zu und lächelte.
Kapitel 7
IM LANGEN SCHATTEN DES FUJI
Frank schrie, seine Stimme donnerte, bis das Haus davon widerhallte. Alle, nicht zuletzt Miriam selbst, gingen seit drei Tagen auf Zehenspitzen, und ein Ende war nicht abzusehen. Es wurden Gäste erwartet, und dann benahm er sich immer unmöglich, hängte die Farbholzschnitte um, plazierte die Wandschirme und Keramiken immer wieder aufs neue, stellte die Möbel erst in die eine, dann in die andere Ecke und zog sie schließlich in die Mitte des Raums, wo sie ganze fünfzehn Minuten stehenblieben, bevor er seine Meinung abermals änderte. Er brachte Stunden damit zu, die Blumen zu arrangieren oder seine chinesischen, türkischen oder persischen Teppiche so über diesem oder jenem Sessel zu drapieren, dass ihr Faltenwurf natürlich wirkte, und diesmal - die Japaner würden kommen, und er war so aufgeregt, als würde der Kaiser selbst ihn beehren - ging er zu einer Rosenholztruhe im Keller, um einige seiner aus dem 18. Jahrhundert stammenden Kimonos hervorzuholen, damit er sie neben seinen Holzschnitten zur Schau stellen konnte.* Aber warum brüllte er jetzt so?
* Es handelte sich um kosode, leichte Sommerkimonos. Wrieto-San sammelte nicht nur Holzschnitte, Wandschirme, Keramiken und Töpferwaren, sondern auch Textilien. Alles Fernöstliche schien ihn besonders zu faszinieren, insbesondere, wie wir bereits gesehen haben, die Kunst Japans. Schmeichele ich mir, wenn ich sage, dass unsere Volkskunst keiner anderen nachsteht?
Was immer der Grund sein mochte - ein Fleck auf einem Vorlegelöffel, eine Staubflocke auf dem Teppich, ein unzureichendes Feuer in einem der Gästezimmer -, es konnte sie nicht kümmern. Ein halbes Dutzend seiner Lakaien rannten im Haus herum, als hätte man ihnen mit einem Schürhaken Beine gemacht, die Köchin hatte ihre Instruktionen erhalten, und ein weiteres Dienstmädchen war eingestellt worden, um die Arrangements zu überwachen. Nein, ihre Sorge, ihre einzige Sorge, galt ihrer Aufmachung, damit sie an seiner Seite stehen und die Gäste mit ätherischer Gelassenheit und einer überaus anmutigen orientalischen Verbeugung begrüßen konnte. Und was diese betraf, so hatte Frank sie - Form und Länge der Verbeugung sowie die dabei erforderliche Haltung - mit Miriam geübt, bis sie hätte schreien mögen.
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