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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Nun, in der Abgeschiedenheit ihres Schlafzimmers - in dessen Kamin unter zwei frisch aufgelegten Eichenscheiten ein gutes Glutbett glomm, denn in diesem weitläufigen Gemäuer aus Stein und Stuck mit seiner Zugluft und Fenstern, welche die Kälte so wenig abhielten, dass sie ebensogut aus transparentem Papier hätten bestehen können, war es kalt wie in einer Gruft -, nun übte sie vor dem Spiegel, beugte den Oberkörper und richtete sich wieder auf, wobei ihre Augen leuchteten und ein Lächeln sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, bis sie Grübchen hatte wie ein junges Mädchen.
    Wie schön, Sie kennenzulernen, Hayashi-San, enchantée - nein, das war ganz und gar nicht der richtige Ton. Sie sollte lieber schweigen und ihre Augen sprechen lassen; das war es doch, was orientalische Frauen taten, oder nicht? Die waren natürlich nichts weiter als bewegliches Eigentum, kaum besser als Hunde, es sei denn, sie waren die angemalten Kurtisanen, die die Nächte mit Horden lüsterner alter Männer vertändelten, deren Vorzüge sich auf die Yens in ihren Taschen beschränkten. Und dann dieser schreckliche Reiswein. In Paris hatte sie ein paar Japaner kennengelernt - Japonisme war damals große Mode gewesen und war es wohl noch heute. Ganz anständige Menschen, die gut Französisch sprachen, aber es waren ja auch Künstler gewesen, und das war Hayashi-San, nach allem, was sie über ihn gehört hatte, keineswegs. Nein, er war Geschäftsmann. Direktor des alten Hotels Imperial in Tokio.
    Und er kam, um sich umwerben zu lassen. Na gut, dachte sie und verbeugte sich vor dem Spiegel, dann würde sie ihn also umwerben. Frank zuliebe.*
     
    * isaku Hayashi war von der Okura-Investmentgruppe (und dem Kaiser, der sechzig Prozent des Kapitalsbereitstellte) entsandt worden, um Wrieto-San unter die Lupe zu nehmen, dessen Ruf, gegen alle Konventionen zu verstoßen und Boulevardzeitungen regelmäßig mit Skandalgeschichten zu versorgen, eine eingehende Untersuchung vor Vertragsabschluss erforderlich machte.
     
    Sie legte sich gerade ihr Tuch aus blauer Schantungseide um die Schultern, darunter trug sie ein smaragdgrünes Hängekleid mit V-Ausschnitt, das ihren Hals sehr vorteilhaft zur Geltung brachte. Dies war, dachte sie mit einiger Befriedigung, die Quintessenz des Orientlooks - vielleicht sollte sie noch eine Perlenkette und die Jadebrosche mit dem dicken, lächelnden Buddha anlegen, die sie vor ein paar Jahren nur so zum Spaß an einem Stand in der Avenue d’Ivry gekauft hatte -, als Frank hereingeplatzt kam. Er war ganz aus dem Häuschen. Sein Haar stand vom Kopf ab und wirkte wie eine in sich zusammengesunkene Gloriole, und seine Augen waren so gerötet, dass man glauben konnte, er sei die ganze Nacht aufgewesen. Was nicht der Fall war. Das konnte sie bezeugen.
    »Mein Gott, Miriam, was denkst du dir?« rief er, so erregt, dass sie kleine Speicheltropfen von seinen Lippen fliegen sah. »Zieh dich an. Sie werden in wenigen Minuten am Bahnhof ankommen, ist dir das eigentlich klar? Ich habe dir nur eine einzige Anweisung gegeben: Du solltest dich so anziehen, dass du nicht aussiehst wie eine, eine« - er schien nicht das rechte beleidigende Wort zu finden und fuhr einfach fort - »und was tust du? Willst du mir das absichtlich verderben? Willst du das?«
    Sie versuchte ihn zu ignorieren und setzte sich an ihren Toilettentisch, um den Sitz ihres Haars, das sie mit einem Kamm aufgesteckt hatte, damit sie einer der Geishas auf Franks Farbholzschnitten ähnelte, und das Make-up der Augen zu überprüfen, die sie mittels zweier Dreiecke aus Kajal optisch vergößert hatte, doch sie spürte, wie sie sich innerlich verhärtete. »Dass ich nicht aussehe wie was, Frank?«
    »Ich habe jetzt keine Zeit dafür, Miriam«, sagte er und ging, als könnte er nicht anders, zu dem Stuhl in der Ecke, um ihn zehn Zentimeter näher an den Schreibtisch zu rücken. »Zieh dich einfach an. Und zwar sofort!«
    Sie betrachtete ihn im Spiegel, die fahrigen Bewegungen, das Zucken der Arme, die unterdrückte Tarantella der Füße auf dem Teppich. Sie bemühte sich, Mitgefühl mit ihm zu empfinden - die Japaner würden eine ganze Weile bleiben, und wenn er den größten Auftrag seines Lebens an Land ziehen wollte, würde er ständig achtgeben müssen, das verstand sie, und sie wollte ihm alle Liebe, alle Unterstützung geben, zu der sie fähig war -, aber sein Ton gefiel ihr nicht. Nein, sein Ton gefiel ihr ganz und gar nicht. »Ich bin angezogen, Frank«, sagte sie

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