Die Frauen
der Welt hatte, sich ihrer Arbeit zu widmen, war ihre Begeisterung verschwunden. Aber natürlich hatten alle Schriftsteller - sogar Ellen Key - mal eine Durststrecke, und sie würde nicht aufgeben, das war keine Frage. Außerdem konnte sie sich auf Frank freuen. Frank brachte immer Leben und Abwechslung. Übermorgen würde er dasein, wenigstens für ein paar Tage, das hatte er versprochen. Und in einigen Wochen würden John und Martha kommen, und alles würde wieder neu sein.
Das Essen war sogar noch besser als am Abend zuvor. Sie hatte ein Menü vorgeschlagen - gebratenes Hähnchen, gefüllt mit Maisbrot, weiße Brötchen und Sauce, gekochten Schinken, russische Eier, Kartoffelsalat und Gemüse, Melone, vielleicht einen kleinen Pfirsichoder Blaubeerkuchen -, und Gertrude hatte sich eigene Variationen ausgedacht. Meisterhaft. Und ihr Mann hatte alle Anwesenden mit der Art beeindruckt, wie er bei Tisch bedient hatte, denn er hatte die unerschütterliche Würde an den Tag gelegt, die man von einem Oberkellner im besten Restaurant von Chicago oder New York erwartet hätte, hatte auf jede Kleinigkeit geachtet, lautlos die Teller abgeräumt und zugleich den nächsten Gang serviert. Herbert Fritz, der erst neunzehn war und bei seiner verwitweten Mutter gelebt hatte, bevor Frank ihn und Emil Brodelle aus Chicago beziehungsweise Milwaukee geholt hatte*, hatte dergleichen offenbar noch nie erlebt. Er legte seine besten Manieren an den Tag und warf jedesmal, wenn ihm serviert wurde, scheue Blicke in die Runde, als befürchtete er, man könnte ihn entlarven und ihm den Teller wegnehmen, und er aß mit wachsender und kaum verhohlener Begeisterung und wischte sich geradezu zwanghaft mit der Serviette den Mund ab, über dem er sich einen dünnen Schnurrbart wachsen ließ. »Es ist einfach köstlich«, sagte er immer wieder, erst zu sich selbst, dann auch zu den anderen. »Außergewöhnlich. Wirklich außergewöhnlich. Ich glaube, ich habe noch nie -«
* Sie sollten die Zeichnungen für eine Ausstellung über Frank und seine Arbeit erstellen, die im Herbst in San Francisco stattfinden sollte, jedoch leider nie zustande kam.
»Noch nie?« unterbrach ihn Brodelle. Emil war erst dreißig, betrachtete sich jedoch als einen Mann mit Lebenserfahrung und ließ das die anderen spüren, wenn Frank nicht da war. Mamah konnte es ihm kaum verdenken. Abgesehen von einem Ausflug in die Schenke oder einem Ausritt entlang der staubigen Straßen hatte das Landleben ihm nicht viel zu bieten. Er besaß Witz und eine gute Allgemeinbildung, was unter Zeichnern, die - ihrer Meinung nach jedenfalls - eher langweilig waren und einen beschränkten Horizont hatten, recht selten war. Für einen Augenblick herrschte Schweigen. Als Emil sicher war, dass alle ihm zuhörten, fuhr er fort: »Hast du denn keine Angst, dass deine Bemerkung als versteckte Kritik an der Dame des Hauses« - hier lächelte er ihr zu - »aufgefasst werden könnte, die so heroische Arbeit geleistet hat, nachdem unsere vormalige Küchenchefin, der keiner eine Träne nachweint, uns verlassen hat?«
Der Junge zog den Kopf ein. Als er zu ihr aufsah, war sein Gesicht gerötet. »Ich wollte nicht ... Ich meine...«
Es war gut. Alle lachten. Alle außer Carleton natürlich, der nicht aus der Rolle fiel und in seiner weißen Jacke reglos und wie ein Geist an der Wand stand.
»Ja«, sagte sie, noch immer lachend, »ich weiß, was Sie meinen. Unsere neue Köchin ist wirklich eine Perle.« Sie war sich bewusst, dass dies das Wort war, das Carleton benutzt hatte, und fragte sich, ob ihn das freuen würde. »Ich fürchte, wir müssen uns darauf gefasst machen, ein bisschen zuzunehmen.« Sie hob ihr Glas. »Trinken wir auf die Köchin!« sagte sie, und alle, selbst Alvin, dessen Beruf ihn gegenüber allem Oralen skeptisch gemacht zu haben schien, erhoben ebenfalls ihr Glas. Sie war zufrieden und gutgelaunt. »Nun«, sagte sie und stellte das leere Glas ab, »soll ich jetzt das Dessert servieren lassen?«
Am nächsten Morgen unternahm sie einen langen Spaziergang und machte sich dann wieder an die Arbeit. Trotz der Hitze - um halb elf waren es schon über dreißig Grad im Schatten - stellte sie fest, dass sie nun imstande war, das Buch mit einem frischen Blick zu betrachten und einige der Probleme zu lösen, die ihr am Vortag so viel Kopfzerbrechen bereitet hatten. Sie las das Geschriebene noch einmal durch und nahm hier und da ein paar kleine Änderungen vor - und es gefiel ihr
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