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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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und folgten den Schultern hinaus aus dem großen Raum. Und was sagte Mrs. Borthwick-Wright, Mrs. Hochnäsig, mit Verachtung in der Stimme? »Frau«, sagte sie, sie spuckte das Wort aus, spuckte es gegen seinen Rücken, und die ganze Zeit explodierten die Raketen in seinem Kopf: pop-pop, pop-pop.
    Er war ihr unsympathisch, vom ersten Augenblick an. Sie gestand es sich nur ungern ein, wie sie sich überhaupt ungern irgendein Vorurteil eingestand, doch es war nicht zu leugnen. Es war nicht sein Äußeres. Er war ein gutaussehender Neger mit heller Haut, gutproportionierten Lippen und schokoladenbraunen Augen, mittelgroß, schlank und beherrscht. Nein, es war etwas in seinem Verhalten, seiner Haltung - stocksteif, als wäre er gerade mit Stromstößen gefoltert worden und wartete darauf, dass sein Peiniger den Schalter umlegte und ihm einen weiteren Schock verpasste. Und es hatte etwas damit zu tun, wie er sie angesehen hatte: mit einer Art kühler Unverschämtheit, als wäre sie diejenige, die sich um eine Stelle bewarb und die seinen Ansprüchen genügen müsste. Etwas Derartiges hatte sie noch nie erlebt, auch wenn ihre Erfahrungen mit Negern zugegebenermaßen begrenzt waren - sie war ihnen in den Häusern anderer Leute begegnet, wo sie bei Tisch bedient hatten und so weiter, und mit einigen hatte sie in der Zeit, bevor sie Edwin kennengelernt hatte, als Bibliothekarin in Port Huron zu tun gehabt, doch das waren Neger gewesen, die ihr gefallen hatten: hart arbeitende Menschen, die sich in ihrer Freizeit weiterbildeten.
    Oder es jedenfalls versuchten.
    Und es stimmte schon, was Frank gesagt hatte: Dieser Carleton, Julian Carleton, sprach ein sauberes Englisch, und er schien intelligent zu sein, vielleicht intelligenter, als ihm guttat, aber dass er versucht hatte, für seine Frau zu sprechen, ihr das Wort abzuschneiden und sie schon bei der allerersten Begegnung mit ihrer neuen Dienstherrin zu drangsalieren, machte sie einfach wütend. Sie war schon fast entschlossen, Frank zu telegrafieren, er solle jemand anders finden, denn sie werde die beiden mit dem Frühzug nach Chicago zurückschicken, doch sie tat es dann doch nicht. Sie brauchte die beiden, sie brauchte irgend jemanden, der ihr die Arbeit in der Küche abnahm, damit sie sich wieder Ellen Key, dem Lesen und Schreiben widmen konnte - dem geistigen Leben anstatt der Wurzelbürste und dem Waschbrett -, und vielleicht war ihr Urteil ja auch vorschnell. Die Frau, Gertrude, hatte einen netten, schüchternen Eindruck gemacht. Und sie war so jung. War Carleton etwa fünfundzwanzig, dann war sie bestimmt noch einmal fünf Jahre jünger, ein Mädchen noch, das gefallen wollte, mit Augen, die unverstellt freundlich blickten. Es hatte einen Moment gegeben, da hatte sie gedacht, Gertrude werde tatsächlich einen Knicks machen. Ihre Gesichtszüge waren regelmäßig, fast hübsch zu nennen, wenn die Lippen nicht so dick gewesen wären, und ihre Haut war so dunkel und exotisch, dass sie das Licht aufzusaugen schien. Und ihre Art zu sprechen, mit breiten, offenen Vokalen und dem hüpfenden, synkopierten Rhythmus, der wie ein Lied dahinfloss, wie eine schöne, tropische Melodie, die spontan und für sie, Mamah, allein gespielt wurde, war wirklich bezaubernd.
    Aber konnte sie kochen? Daran würde es sich entscheiden. Wenn sie kochen konnte - und wenn ihr Mann, wie Frank versichert hatte, bei Tisch bedienen und die im Haus anfallenden Arbeiten mit derselben Entschlossenheit erledigen konnte, die zu spüren gewesen war, als er so stocksteif vor ihr gestanden hatte -, dann würde es ihr sicher gelingen, diesen ungünstigen ersten Eindruck zu vergessen. Es war wahrscheinlich nichts, sagte sie sich.
    Ihm war unbehaglich zumute gewesen, das war alles. Er hatte versucht, einen guten Eindruck zu machen. Daraus konnte man ihm nun wirklich keinen Vorwurf machen, oder? Sie setzte sich wieder in den Sessel und hob das Buch auf. Binnen kurzem war sie erneut vertieft in ihre Arbeit, der Nachmittag verging, während ihre Hand über das Papier glitt und Gefühle sie bewegten, und wenn sie überhaupt an die neuen Hausangestellten dachte, so geschah es in den Minuten, in denen absolute Stille herrschte. Irgendwo am Rand ihres Bewusstseins hörte sie vielleicht, wie eine Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde, drang vielleicht ein ganz leises Geräusch aus der Küche an ihr Ohr - eine Schublade glitt auf, ein Messer wurde gewetzt, Wasser lief in die Spüle -, doch es waren die langen

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