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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Mob verfolgte den Wagen bis zum Fuß des Hügels und schrie ihm Flüche nach. In Dodgeville war er jetzt also, in einer Gefängniszelle, nicht imstande zu reden oder einen Grund für seine Tat anzugeben, für den Hass, die Raserei, das Wüten, mit dem er alles vernichtet und die Seelen so vieler guter Menschen so schrecklich verletzt hatte, denn seine Stimmbänder waren zerstört, und er weigerte sich, auch nur ein einziges Wort zu schreiben, obwohl der Sheriff ihm zusetzte und die Reporter in Dreierreihen auf den Stufen des Gerichtsgebäudes standen. Frank bekam ihn nie mehr zu sehen, und das war auch gut so, denn es wäre gewesen, als würde er in das Gesicht des Teufels persönlich blicken - das rußige, leere Gesicht, diese Schwärze ohne Oberfläche, ohne Grenze -, aber irgendwann führten sie die Frau des Negers in den Raum, in dem er zusammengesunken in einem Sessel saß. Er blickte auf und sah sie vor sich stehen.*
     
    * Der Barbadier wurde nie vor Gericht gestellt. Er starb etwa zwei Monate später in seiner Zelle, und zwar nicht an den Verätzungen, sondern infolge eines Hungerstreiks. Billy Weston sagte mir, Carleton habe wohl nicht mehr als fünfundsechzig Kilo gewogen, und bis zu seinem Tod habe er beinahe die Hälfte davon verloren. Von dem Augenblick an, als er das Schindelbeil erhob, nahm er nur noch Wasser zu sich. Er sprach kein einziges Wort mehr. Ein seltsamer Mensch und ein noch seltsameres Schicksal.
     
    Der Hilfssheriff hatte sich in der Eingangshalle postiert. Dielen knarrten. Schritte erklangen auf der Treppe. Der Leichenbeschauer war da, der Bestattungsunternehmer, es herrschte ein Kommen und Gehen, Türen wurden quietschend geöffnet und wieder geschlossen, Stimmen trieben von einem Raum zum anderen. Sie waren nervös - Jennie war nervös, Andrew, das Personal, die Nachbarn -, und sie wollten einen Sündenbock, einen schwarzen Sündenbock, und da war sie.
    Was er sah, war eine sehr junge Frau, nicht viel älter als seine eigenen Töchter. Wenn er sie zuvor gesehen hatte - bei der Einstellung oder wenn sie in die Küche gegangen oder herausgekommen oder mit einem Korb voll Tomaten und anderem Gemüse aus dem Garten über den Hof geeilt war-, hatte er sie nur flüchtig wahrgenommen. Sie arbeitete für ihn. Sie tat, was zu tun war. Mamah hatte sie gepriesen. Und er hatte natürlich anderes im Kopf gehabt. Sie war eine Angestellte, und Angestellte bemerkte man nur - man sah sie nur dann wirklich an -, wenn sie zu spät kamen, betrunken waren oder am Arbeitsplatz schliefen. Wenn sie stahlen. Wenn sie Menschen umbrachten.
    Die Lampen gaben nur ein schwaches Licht. Eine Motte flog träge durch den Raum.
    Bis auf John, der Taliesin noch nie gesehen hatte, weil seine Mutter in ihrer Eifersucht und Wut es nicht duldete, waren sie allein. Die Frau stand auf der Türschwelle, wo der Hilfssheriff sie hatte stehenlassen, und bald würde auch sie im Gefängnis sein, denn sie war die Frau des Negers, sie war ebenfalls Negerin, und der ganze Bezirk wusste, dass die beiden diese Untat gemeinsam geplant hatten. Sie trug ein einfaches Kleid. Sie war dünn. Und als sie das Kinn hob, um ihm ihr Gesicht zu zeigen, sah er, dass es hager war, hohlwangig, mit Ruß und Schmutz verschmiert, wo sie Tränen weggewischt hatte, und ihr rechtes Auge schien zugeschwollen zu sein, als hätte jemand sie geschlagen, aber trotzdem war sie schön. Sie war schön in ihrer Schlichtheit und Unschuld. Er sah es sofort: Sie hatte mit dieser Sache nichts zu tun. Es war ihr Mann gewesen, ganz allein ihr Mann.
    Als sie hereingeführt worden war, hatte John sich erhoben. Er lehnte nicht weit von Frank mit verschränkten Armen an der Wand und trat nervös von einem Bein auf das andere. Er war jetzt der Beschützer seines Vaters, und die Last dieser Verantwortung zerrte an ihm. »Nun«, sagte er, »was haben Sie uns zu sagen?«
    Sie schüttelte den Kopf, es war ein langsames, nachdenkliches Hin und Her von einer Schulter zur anderen. Sie breitete mit gespreizten Fingern die Hände aus und zeigte ihr Gesicht - nicht John, sondern ihm. »Es is eine Strafe«, flüsterte sie. »Eine Strafe.
    Das is es.«
    Er sah, dass John sich verkrampfte. Sein Sohn war im Begriff, laut zu werden, sie anzufahren, doch er ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Still, John«, sagte er. »Genug.« Gertrude - so hieß sie doch, nicht? - sah auf ihre nackten Füße, deren Nägel ordentlich geschnitten waren und sich beinahe weißlich von ihrer dunklen Haut abhoben,

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