Die Frauen
hatte (Fritz, der sich von den Verbrennungen und den Unterarmfrakturen, die er sich beim Sprung durch das Fenster zugezogen hatte, erholen, und Lindblom, der am Morgen tot sein würde), tauchte sie aus den Schatten auf: Kitty, nicht Mamah - war das nicht äußerst merkwürdig? Er sah sie in dem blauen Satingewand davonwirbeln, das ihre Mutter ihr geschneidert hatte: Sie war Cosette, und er war Marius - die Hälfte der Mädchen waren Cosette, während sich die Jungen eher mit Valjean und Javert identifizierten -, die geschmeidige Kitty mit dem rotgoldenen Haar, es wogte wie Wellen, die gegen einen Strand anbrandeten ...
Am nächsten Morgen stieg die Sonne aus den Hügeln und verschwand hinter dunklen Wolken, und die Wolken breiteten sich über dem Tal aus wie Schlieren im Wasser.
Gegen Mittag war es so dunkel wie in der Abenddämmerung. Er spürte die Luftfeuchtigkeit, sobald er sich von den verschwitzten Laken erhob, die Luft lastete auf ihm, und sein Hemd war feucht, kaum dass er es angezogen hatte. Irgendwann in den frühen Morgenstunden war er in einen traumlosen Schlaf gefallen. Er hatte auf den Gesang eines einzelnen Vogels - eines Ziegenmelkers - gelauscht, auf das Glissando der auf- und absteigenden Töne, bis er schließlich darüber eingeschlummert war. Er hatte keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte, doch als er erwachte, war er sogleich bei vollem Bewusstsein. Er wusste, wo er war und warum er hier war und dass sein Verlust und sein Unglück für immer bestehen würden und dass ihm das Frühstück, das Mittagessen und das Abendessen nicht schmecken würden.
Er versuchte, sich das Haar zu kämmen, doch es war verfilzt, und als er den Arm hob, um es zu glätten, stieg ihm sein eigener Geruch in die Nase. Er roch nach dem Schweiß von gestern, es war ein durchdringender Gestank nach Angst und Ungewissheit, den keine Seife und kein Eau de Cologne je würden vertreiben können.
Einen Augenblick lang überlegte er, ob er im See schwimmen sollte, doch das erschien ihm nicht recht, nicht wenn Mamah oder ihr John und ihre Martha nicht mitkommen konnten - nein, er würde seinen Geruch behalten und ihn verstärken, indem er grub:
Er würde die Spitzhacke hoch über den Kopf heben und in den Boden rammen und die Zähne aus gelbem Stein lockern, die hier im schwarzen Fleisch der Erde lagen, denn jedes Grab war ein Mund, der sich öffnete und schloss und schluckte, bis nichts mehr da war.
Frühstück. Gedämpfte Stimmen, Leute, die auf Zehenspitzen durch das Haus schlichen wie die Geister der Toten. Er setzte sich für einen Augenblick zu Fritz - das Haar war verschwunden, die Kopfhaut verbrannt, weißer Verbandstoff bauschte sich und erinnerte ihn an die Schneewehen nach einem Wintereinbruch im Frühling -, doch der junge Mann schien ihn nicht zu erkennen. Dann trat er hinaus auf den Hof und roch den dünnen, giftigen Geruch des Rauchs, der noch immer von den Ruinen auf der anderen Seite der Zufahrt aufstieg, und auch hier waren Menschen, viel zu viele Menschen, und so ging er den Hügel hinunter und auf der anderen Seite wieder hinauf nach Taliesin und in den von verbrannten Ruinen eingefassten Hof. Und dort war Billy Weston mit bandagierten Händen und einem Verband um den Kopf, wie ein Verwundeter nach einer Schlacht. Frank sah Blut, es sickerte an der Schläfe durch den Stoff, aus einer Wunde, die nie verheilen würde. »Billy« war alles, was er herausbrachte, und Billy, der in einer Hand einen Rechen und in der anderen den wasserspeienden Schlauch hielt, konnte nur nicken. Lange standen sie einfach nebeneinander da, dann beugten sie sich vor und begannen die Asche zusammenzurechen.
An einem anderen Ort, auf der anderen Seite der Welt, in Paris, wo alles nur vom Krieg sprach - von der Unfehlbarkeit von Plan 1 , der Durchschlagskraft der französischen Kavallerie und den Fehlern des deutschen Charakters -, nahm Maude Miriam Noel im Café Lilac Platz, um zu frühstücken. Sie hatte sich für einen Tisch unter der Markise entschieden, die sie vor der Sonne schützte, obgleich es ein angenehmer Tag war, so friedlich und warm - man wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass keine hundertfünfzig Kilometer entfernt ein Krieg tobte. Es war wegen ihrer Haut. Am Tag zuvor hatte sie einen Spaziergang entlang der Seine gemacht, zwar mit Hut und Sonnenschirm, aber wegen der Hitze ohne Handschuhe, und jetzt waren die Handrücken gerötet oder vielmehr, noch schlimmer: gebräunt. Sie hatte die Hände mit Coldcream
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