Die Frauen
ich tun sollte. Irgendwie hatte mich die Straße in Trance versetzt, meine Gliedmaßen bewegten sich automatisch, mein Gehirn war ausgeschaltet, und ich konnte nicht anders als links, dann rechts und wieder links abbiegen, bis die altbekannte Scheune vor mir auftauchte und ich in meinem brummenden Straßenflitzer, der zu meinem Gefängnis und Purgatorium geworden war, ein weiteres Mal an ihr vorüberkroch.
Dabei war ich sogar im Besitz einer handgezeichneten Landkarte, die mir ein gewisser Karl Jensen zugeschickt hatte, Sekretär der Taliesin Fellowship, deren neues Mitglied - und Gründungsmitglied - ich war, doch auf dieser Karte führte eine angebliche Straße an einem angeblichen Fluss entlang, den es nicht zu geben schien. Das unablässige Heulen des Motors als Resonanzschwingung in meinem Kopf, fragte ich mich gerade, wo ich wohl falsch gefahren war, als sich der Anblick zum viertenmal vor mir auftat, doch diesmal hatte sich etwas verändert: Da war die Scheune, da der Karren, da standen die Kühe, doch es war etwas Neues hinzugekommen. Eine stämmige Frau im grauen Hängekleid mit Schürze hatte sich an den Straßenrand gestellt, neben sich einen gestromten Hund und zwei kleine Jungen. Sobald sie mich sah, begann sie heftig mit den Armen zu rudern, als befänden wir uns auf hoher See und sie wäre über die Reling in die grüne Umklammerung des Kielwassers gestürzt, und im nächsten Moment riss ich auch schon am Schaltknüppel und trat auf die Bremse, bis das Auto etwa sieben Meter vor ihr mit einem Ruck zum Stehen kam. Sie wartete einen Augenblick, bis der Staub sich gelegt hatte, dann trat sie mit stoischer Miene näher, während die Jungen (sie müssen etwa sieben oder acht gewesen sein) vor ihr her sprangen, den kläffenden Hund auf den Fersen.
»Hallo!« rief sie mit dünner, atemloser Stimme. »Hallo!«
Sie stand jetzt neben dem Auto, die Jungen hingegen waren im letzten Moment zurückgewichen und äugten, bis zur Taille in dem Bewuchs am Straßenrand stehend, unsicher zu mir herauf. Ich war mir der Distanz zwischen uns bewusst, der hohen Warte, die ich meinem Stutz-Automobil einnahm, der gewaltigen, langgestreckten Schräge der Kotflügel. Das Unkraut, das hier und da vom Braun der Jahreszeit überzogen war, wucherte in die Straße hinein, die ohnehin kaum breiter als ein Karrenweg war. Einer der Jungen pflückte einen Grashalm und steckte ihn sich zwischen die Schneidezähne. Mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können.
Ich studierte ihre Miene, während sie mich musterte: zwei helle irische Augen, die mein Gesicht, meine Kleider, mein formidables Automobil taxierten. »Suchen Sie was?«
fragte sie, redete dann aber sofort weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. »Weil, Sie fahren diese Straße jetzt schon zum viertenmal lang. Haben Sie« - und nun erfasste sie schließlich, was ihre Augen ihr schon die ganze Zeit sagten, nämlich dass ich ein Ausländer, ja, schlimmer noch, ein Exot war - »sich verirrt oder so?«
»Ja«, sagte ich, um ein Lächeln bemüht. »Offenbar habe ich mich ziemlich ... verfranzt.
Ich will nach Taliesin?« Ich machte eine Frage daraus, allerdings war mir damals nicht klar, dass ich den Namen falsch aussprach, denn ich hatte ihn noch nie laut ausgesprochen gehört. Vermutlich hatte ich ihm eine japanische Betonung gegeben - Tál-je-sien statt des süßlicheren Tal-i-éssin -, jedenfalls starrte sie mich nur verständnislos an. Ich wiederholte es noch zweimal, bis einer der Jungen sich meldete.
»Ich glaube, er meint Taliesin, Ma.«
»Taliesin?« wiederholte sie, und ihr Gesicht verzog sich, als stoße ihr der Name sauer auf. »Was wollen Sie denn da?« Ihre Stimme hob sich auf der letzten Silbe zu einer Art unterdrücktem Jaulen, doch noch während sie fragte, verfestigte sich in ihren Augen schon die Antwort. Was immer sie mit dem Namen verbinden mochte, es war nichts Erfreuliches.
»Ich habe eine, äh« - unter mir bebte und spotzte das Auto - »eine Verabredung.«
»Mit wem?«
Die Worte entschlüpften mir, ehe ich’s mich versah: »Mit Wrieto-San.«
Die zusammengekniffenen Augen, der Mund wieder gallig verzogen, der hechelnde Hund, die gaffenden Jungen, überall Insekten. »Mit wem?«
»Mr. Lloyd Wright«, sagte ich. »Dem Architekten. Erbauer des« - ich hatte Ausgeführte Bauten und Entwürfe von Frank Lloyd Wright studiert, bis es ganz zerfleddert war, und kannte jedes seiner Häuser in- und auswendig, doch in dieser Extremsituation fiel mir nur Tokios
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