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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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langsame, aber stetige Abstieg ins Reich des Höllenfürsten, kein Frieden, keine Erholung, hinter jeder Ecke ein neuer Schrecken,
    Chaos ohne Ende. Jedesmal wenn Frank und sie sich irgendwo häuslich einrichteten, ob in Taliesin, in Minneapolis, in Phoenix oder am äußersten Rand des Kontinents, wo das Land endete und die Wellen gegen das Ufer schlugen, kam Miriam und zerstörte alles. Wenn sie das Haus verließen - um einen Spaziergang zu machen, zum Metzger, zu einer Ausstellung, ins Restaurant zu gehen -, war sich Olgivanna nie sicher, ob es noch dasein würde, wenn sie zurückkehrten. Asche, das war es, womit sie inzwischen rechnete. Verbrannte Erde. Trümmer. Der Sheriff würde wieder mit irgendeiner gerichtlichen Verfügung vor der Tür stehen. Einwanderungsbeamte würden aus dem Nichts erscheinen. Bankvertreter. Anwälte. Die Fenster würden eingeschlagen, die Möbel zu Kleinholz verarbeitet sein, und ein Polizist würde auf der Veranda stehen, den Shunshö-Holzschnitt neben sich ans Geländer gelehnt wie ein vom Hurrikan wieder ausgewürgtes Bruchstück. Und wenn diese Irre nun mit dem Messer auf sie losging?
    Wenn sie versuchte, den Kindern etwas anzutun? Was dann?
    Sie versuchte, Frank darauf anzusprechen, doch der winkte nur ab. »Miriam ist eine zutiefst gestörte Frau«, sagte er jedesmal, als würde allein diese Aussage Miriam schwächen, sie kaltstellen, der Klinge die Schärfe nehmen, die Kugel in der Kammer blockieren.
    »Aber du hast doch selbst gesagt, dass sie schon Leute mit der Waffe angegriffen hat.«
    »Es gibt keinen Grund zur Sorge«, erwiderte er, aber sie merkte, dass er es selbst nicht glaubte. Sie stellte fest, dass er abends die Fenster überprüfte. Er begann sogar die Türen abzuschließen.
    Ihr Husten wurde schlimmer. Sie bekam Nesselsucht, Allergien, eine Pilzinfektion. Die Stimmen ihrer eigenen Töchter begannen, an ihren Nerven zu zerren - ihr Gezanke, ihre Bedürfnisse, Mama! Mama! -, und das unablässige saugende und schlürfende Geräusch der Brandung gab ihr das Gefühl, ihre ganze Lebenskraft rinne als ein fahler Schaum aus ihr heraus. Sie konnte kein Zimmer des Bungalows mehr betreten, ohne von Furcht und Hass übermannt zu werden, die Tische waren ramponiert, Kaminsims, Wände und Fußleisten von den Spuren der Axt gezeichnet. Und obwohl Frank zärtlich, zugänglich und immer fröhlich war, pfeifend über einer Zeichnung oder seinem Manuskript saß, unter der Dusche sang, mit einem Glas Milch und einem belegten Brot in der Hand einen kleinen Tanz um den Kühlschrank vollführte, gab es Momente, wo sie am liebsten mit den Fäusten auf ihn eingetrommelt und gebrüllt hätte, bis ihr die Luft ausging. Sie war noch keine dreißig Jahre alt, aber sie fühlte sich, als wäre sie sechzig. Es wurde ihr unerträglich, dass Morgen um Morgen im Osten die Sonne erschien. Wenn sie etwas aß, schmeckte es nach nichts, höchstens nach Sand. Nach Staub. Erde in ihrem Mund.
    Und dann, als die Lage völlig hoffnungslos schien, wendete sich das Blatt. Miriam wurde des Einbruchs und des Vandalismus sowie des Verstoßes gegen eine frühere einstweilige Verfügung angeklagt. Jetzt war sie es, die vor Gericht stand, deren Foto in der Zeitung erschien, die mit Schimpf und Schande überzogen und öffentlich gedemütigt wurde, und die Presse begann sie endlich als das zu sehen, was sie war - eine unausgeglichene, rachsüchtige Frau, die vor nichts zurückschreckte, um das Glück ihres Exmannes zu zerstören -, und wandte sich gegen sie, so wie Frank es vorhergesagt hatte. »Ich bin keine Tänzerin«, hatte Olgivanna gegenüber der Presse erklärt, und das hatte Gewicht gehabt, keine Frage, aber was die öffentliche Meinung wirklich gegen Miriam einnahm, war die Enthüllung, dass sie Olgivanna mit ihrem neugeborenen Kind aus der Klinik gehetzt hatte. Das Bild der jungen Mutter, die auf einer Trage hastig ins Freie geschafft wurde, während ihr Säugling sich an ihrer Brust festklammerte und Graupelschauer vom Himmel niedergingen, war nachgerade biblisch - sie hätte Maria sein können, die das Jesuskind vor Herodes versteckte, und welche Rolle spielte in den Augen der Öffentlichkeit wohl Miriam? Und dann war ihre einjährige Wartefrist verstrichen, und Frank heiratete sie* und schenkte ihr Taliesin, das zumindest vorläufig vor der Bank gerettet worden war.**
     
    * CHITEKT HEIRATET TÄNZERIN, lautete die Schlagzeile.
     
    ** on der Kapitalgesellschaft, die bald darauf bankrott gehen

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