Die Freifliegerin Ein Hexenthriller (German Edition)
Frauenkleidung,
um sich ein vertieftes weibliches Lebensgefühl zu verschaffen.
Ähnliche Tendenzen bei Frauen
sind viel schwieriger zu erkennen, weil es in unserer Gesellschaft kaum
auffällt, wenn Frauen zum Beispiel Hosen tragen oder sich mit anderen
innerlichen oder äußerlichen männlichen Attributen ausstatten.
Anders als die Pseudos werden
echte Crosser seltener nuttiges Zeug tragen, denn auch echte Frauen laufen ja
in der Regel nicht in Schlampenkostümen herum. Das weibliche Lebensgefühl wird
ausgekostet und in ein verzaubertes Spiel, manchmal auch ins alltägliche Leben
integriert. Dabei geht es nicht nur um Kleidung und Mode und einige
Oberflächlichkeiten, sondern auch um tiefergehendere weibliche Werte und
Attribute, etwa um das Sanfte, die menschliche Nähe, das Mütterliche,
Familiäre, Nährende, Behütende, Kommunikative. Das sind Eigenschaften, die
Männern oft fern sind und die ein Crosser fühlen und erleben will. Zusätzlich
will er natürlich auch noch möglichst so aussehen wie eine Frau, und im besten
Fall auch sexuell so empfinden. Zumindest zeitweise. Denn trotz allem sind
Crosser keine in Männerkörpern gefangene Frauenseelen wie zum Beispiel
Transsexuelle. Sie streben keine Geschlechtsumwandlung an. Man findet sie nicht
selten in ganz normalen, funktionierenden Beziehungen, sie haben oft Frau und
Kinder und leben ihre Neigungen meistens heimlich aus, in ständiger Angst,
einmal erwischt zu werden. Andere trauen sich weiter vor, indem sie zum
Beispiel nachts oder sogar tagsüber in ihrer weiblichen Verkleidung auf die
Straße gehen. Nur wenige wagen auch ein Comming-Out vor ihren Frauen, ihrer
Familie oder gar vor dem Rest der Öffentlichkeit. Viel zu groß ist für die
meisten die Gefahr, für immer gesellschaftlich gebrandmarkt zu werden,
Partnerinnen und Familien zu verlieren.
Obwohl Miriam damals schon
einiges über Cross-Dressing zu wissen glaubte, ging es ihr nicht gut mit ihrer
Entdeckung. Sie hatte eigentlich kein Problem damit, dass ihr Freund, wenn er
alleine war, solche Sachen trug. Seine Männlichkeit hatte er deswegen bei ihr
nicht eingebüßt. Viel mehr hatte sie das Problem, nicht zu wissen, was sie in
Zukunft tun sollte. Sollte sie auf seine Neigungen eingehen, die ihm doch allem
Anschein nach so viel bedeuteten? Wie denn? Sie hätte es gewiss als nicht
gerade sehr erotisch empfunden, wenn er in Zukunft während ihrer Liebesnächte en
femme mit ihr verkehrt hätte. Das wäre - vielleicht - ein prickelndes Spiel
für einen Abend gewesen, mehr jedoch sicher nicht.
Mit einiger Mühe schaffte sie
es, die Absperrung des Kleiderschrankes wieder einrasten zu lassen, ehe Rob mit
dem Essen zurückkam. Sie sprach ihn damals freilich nicht darauf an, sondern
schwieg an diesem Tag die meiste Zeit über betreten und auch voller Scham.
Aber es überraschte sie nicht,
dass sich kurz darauf Rob selbst verriet, als sie sich in einem Cafe vor der
Uni trafen. So laufen die Dinge eben. Sie selbst nennt das Ereignisfelder ,
andere nennen es vielleicht Synchronizität : Ereignisse gleicher,
ähnlicher oder verwandter Art, die sich auf einmal anhäufen, um an irgend einem
Punkt plötzlich in Beziehung zu treten und manchmal auch eine schicksalshafte
Wendung einzuleiten. Unaufhaltsam wie ein Schneebrett, das man versehentlich losgetreten
hat.
Er war damals zu spät dran zu
ihrem Treffen im Cafe und kam ganz außer Atem. Während sie auf die bestellten
Getränke warteten, legte er am Tisch seine Hände um die ihren. Da sahen sie,
beide gleichermaßen erschrocken, auf die hell rosa lackierten, glänzenden
Fingernägel seiner linken Hand. Er hatte sich zu Hause wahrscheinlich zu lange
mit seinen Frauensachen aufgehalten, und beim Abschminken hatte er in der Eile
auf die Fingernägel der zweiten Hand vergessen. Sie sagten kein Wort dazu. Nach
einer Weile des beklemmenden Schweigens gingen sie ins Kino. Rob zog an diesem
Abend die linke Hand nicht mehr aus der Hosentasche. Miriam begriff damals
nicht, warum ihr das eigentlich alles so zu schaffen machte. Sie war zwar erst
neunzehn, doch hatte sie schon damals eine eher humorige und offene Einstellung
zu den Sonderbarkeiten dieser Welt. Sie war des Öfteren mit schwulen Männer
ausgegangen und manchmal auch mit Junkies und anderen Geistern der Subkulturen
durch die Nächte gezogen.
Einige Wochen später bat Miriam
ihre Wicca-Hohepriesterin um ein Ritual für Rob und sie. Miriam wollte, dass
Rob von seiner Leidenschaft geheilt werde, um ihre
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