Die Freifliegerin Ein Hexenthriller (German Edition)
weg. Ich werde dir helfen, den Zigeunerwagen an die Kupplung zu
hängen. Fahr einfach ein paar Ortschaften weiter. Dort könnten wir uns ja, wenn
du willst, weiterhin treffen.“
Er blickt zu Boden.
„Christian, schau mich bitte
an!“
Der Teufl hebt den Blick.
„Ich werde nicht von hier
weggehen, daran hat auch unser Abenteuer hier nichts geändert. Ich möchte dich
auch wiedersehen. Ja. Aber nicht als Flüchtling, irgendwo ein paar Ortschaften
weiter. Es wird auch so schwierig genug, wenn wir uns treffen wollen, aber
sicher nicht auf diese Art!“
„Es wird nicht möglich sein,
dass wir uns hier in Dirnitz öfter sehen können. Der ganze Ort wird bald
darüber reden, wenn wir miteinander gesehen werden. Es wäre ohnehin nur
möglich, dass wir uns an einem neutraleren Ort träfen.“
„Dann“, sagt Miriam etwas
traurig, „soll es nicht sein. Tut mir leid, junger Herr Pfarrer, ich hoffe, du
verstehst das. Ich werde mich dem Zwang einiger abergläubischer und bigotter
Landleute nicht beugen, die dazu auch noch nicht einmal den Mumm haben, sich
mir zu zeigen und mir ihre Ressentiments ins Gesicht zu sagen.“
„Sie können sich nicht zeigen,
Miriam, glaube mir! Ich soll es zwar nicht sagen, aber ich muss es tun! Unter
anderem soll auch einer unserer Polizisten bei dem Anschlag mitmachen!“
„Der Karner Alois!“, Miriam
lächelt mit bitterer Miene.
„Das Ganze ist etwas
komplizierter, als du wissen kannst. Es ist einfach gefährlich, hier zu bleiben.
Es wird dir niemand helfen hier, wenn dir etwas zustößt, am allerwenigsten die
Polizei. Du wirst völlig alleine sein. Warum willst du nicht auf mich hören und
dich diesem Druck beugen. Fahr los, flüchte, sonst wird ein Unglück geschehen!“
Miriam wird unsicher. Freilich
hat sie keine Lust, sich einer eventuellen Boshaftigkeit oder einem Gewaltakt
der dirnitzer Einwohner auszusetzen. Und es schiene ihr auch sinnlos, jetzt mit
irgend einem Wicca-Zauber zu versuchen, die Sache zu beeinflussen. Die Dinge
hier sind irgendwie außer Kontrolle geraten, wie schon auch an einigen anderen
Orten, an denen sie gearbeitet hat. Doch waren es bisher nur kleinere
Reibereien, etwa wenn die Frauen Angst um ihre Männer hatten, oder die Männer
Angst vor einer energetischen Frau, oder wenn es sich schlicht um
abergläubische Menschen handelte. Aber offene Gewaltandrohungen wie hier hat
sie bisher noch nirgendwo erfahren.
Und wenn die Sache nur so
einfach wäre, sie würde Teufls Rat Folge leisten. Doch gibt es da Kräfte in ihrem
Inneren, denen es zutiefst widerstrebt, jetzt nachzugeben und einfach weg zu
fahren. Sie hat früh lernen müssen, Widerstand zu leisten. Vielleicht war das
ja auch später der Grund, warum sie in einen Wicca-Coven ging und Mitglied
einer Hexengemeinschaft wurde. Immer schon musste sie gegen den Strom
schwimmen, schon sehr früh.
Sie war gerade acht, als der
Vater bei ihrer Schwester Melissa das erste Mal unter die Bettdecke fasste.
Melissa ist zwei Jahre älter als Miriam. Vater machte das zuerst sehr raffiniert,
mit lustigen Spielchen, die fast zwangsläufig dazu führten, dass er eben mal
zwischen Melissas Beine langte und dort ein Mäuschen suchte oder sowas. Anfangs
lachte Melissa dabei, auch wenn sie es nicht wirklich mochte. Es war vielleicht
so wie Kitzeln: Sie lachte, obwohl sie es eigentlich nicht wollte. Nach ein
bisschen Grabschen spielten sie wieder weiter und alles war in Ordnung.
Aber als Miriam etwa zehn war
und Melissa zwölf, ging der Betrieb des Vaters in Konkurs. Er war Chef einer
Firma für medizinische Messinstrumente gewesen (so war aus einem Ex-Hippe ein
angepasster Bürger geworden!), und er begann zu trinken. Da wurde er dann
aufdringlicher. Er gab sich nun nicht mehr die Mühe, seine Grabscherei in ein
Spiel einzubauen, sondern kam einfach am Abend betrunken oder zugekifft in ihr
gemeinsames Zimmer, um an Melissa herumzumachen. Und er blieb jetzt auch
wesentlich länger. Zum Glück blieb es beim Grabschen. In all seinen
Verfehlungen ersparte er Melissa doch das Allerletzte, was ein Vater seiner Tochter
antun kann.
So sehr Miriam ihren Vater
ansonsten mochte, so sehr verwirrte und verletzte sie seine Beziehung zu
Melissa. Es widerte sie an und machte sie zornig, wenn er zu Melissa kam.
Zugleich jedoch spürte sie kurioser Weise auch so etwas wie Eifersucht gegen
ihre Schwester. Warum machte das Vater nur bei Melissa? Wie eklig das auch
immer sein mochte, aber warum kam er nicht auch zu Miriams Bett, die zwei
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