Die Freifliegerin Ein Hexenthriller (German Edition)
erlitten.
„Sie weint die ganze Zeit“,
sagt Lena, seine Ältere, als sie aus dem Zimmer der Kathi kommt. „Sie fühlt
sich schuldig am Tod der Else. Mama redet noch mit dem Doktor Zöchling. Der hat
ihr jetzt ein Beruhigungsmittel gegeben. Viel Schlaf, sagt der Zöchling, das
sei die beste Medizin.“
Gravogl weiß, dass Kathi nicht
sein Kind ist. Er weiß es schon lange, auch wenn er mit Anna nie darüber
geredet hat. Zuerst waren es nur Vermutungen, weil Kathi so ganz anders
aussieht als die ältere Lena. Lena sieht Gravogl ähnlich. Natürlich viel
schöner als er, klar, aber sie hat seine Züge, unleugbar. Doch Kathi hat nichts
von ihm! Kathi hat schwarzes Haar und tief dunkelbraune Augen, während er und
Anna, seine Frau, blondes Haar und graue Augen haben. Viele Dirnitzer haben
übrigens helles Haar. Kathi ist gertenschlank, während die arme Lena immer
wieder fasten muss, um ihre Figur zu halten.
Eines Tages jedenfalls wollte
er es genau wissen. Er machte von Kathi unter einem Vorwand einen
Zungenabstrich und brachte ihn zu einem befreundeten Laborarzt, wo er auch von
sich selbst einen Abstrich machen ließ. Zuerst weigerte sich der Freund, aber
dann erinnerte er sich an seine Setterhündin, die der Gravogl von einem
bösartigen Tumor befreit hatte. So machte er ihm diesen illegalen
Freundschaftsdienst. Und das Ergebnis: Gravogl ist mit einer Wahrscheinlichkeit
von praktisch hundert Prozent nicht der Vater von Kathi! Auch ein zweiter Test,
den sie später zur Kontrolle machten, brachte das selbe Ergebnis.
Kathi war damals schon vier
Jahre alt, und er liebte dieses Kind genauso wie Lena. Was sollte er tun?
Sollte er Anna zur Rede stellen? Sollte er seine Ehe aufs Spiel setzen?
Scheidung? Trennung von den Kindern? Besuchsrecht am Wochenende für Lena? Kein
Besuchsrecht für Kathi, weil nicht mehr seine Tochter? All das durfte nie
passieren!
13
Teufl kniet vor seinem Gott in
der dirnitzer Dorfkirche. Die kleine Else und der Karner, die grausame
Hinrichtung des kleinen Hofkätzchens, all das lässt sich nicht einordnen in
diese friedliche und gesegnete Welt hier. Karner und Else liegen, nach der gestrigen
Obduktion, aufgebahrt in der Kapelle, wo die Angehörigen ihren letzten Abschied
von ihnen nehmen können. Morgen werden Vater und Tochter am Dorffriedhof
begraben. Auf Elses Grabstein wird stehen:
Geboren 2002 - gestorben 2013.
Ein bedrückendes Gefühl legt
sich wie ein schwerer Mantel über Pfarrer Teufl.
Doch da gibt es noch etwas, was
ihm Sorgen macht: Frau Miriam ist in Gefahr! Von Gravogl ist ihm schon vor ein
paar Tagen zu Ohren gekommen, dass sie einen Drohbrief erhalten habe. Und
gestern erfuhr er während einer Beichte, dass einige Dirnitzer vorhätten, sich
an der Hagazussa zu rächen. Denn sie seien der Meinung, dass alles nur die
Schuld der Hexe sei. Tatsächlich war auch schon Alois, der „Dorfpolizist“ bei
Miriam, denn Kathi hat erzählt, wo sie die Kräuter her hatte. Doch konnte der
Karner Alois anscheinend keine Ungesetzlichkeiten bei Miriam feststellen. Die
Kräuter, die er gefunden hat, sind alle legal, sie waren weggeräumt und in
einer Kiste versperrt.
Jedenfalls sagte die
Beichtende, sie habe von ihrem Mann erfahren, dass sie für heute Nacht eine
Racheaktion planten - wie auch immer diese dann aussehen werde.
Teufl bekreuzigt sich und
verlässt die Kirche. Er wird zu Miriam hinüberfahren und sie warnen. Natürlich
darf er kein Beichtgeheimnis verraten. Aber einfach nichts tun kann er ebenso
wenig.
Draußen regnet es. Dichtes graues
Gewölk liegt über Dirnitz; der Pfarrer zieht seine Jacke über den Kopf und eilt
hinüber zum Pfarrhof. Dort holt er seine Mütze und steigt auf das Fahrrad.
Völlig durchnässt steht er vor
Miriams Zigeunerwagen und klopft an die Tür. Doch niemand öffnet. Die Tür ist
verschlossen. Leider hat er auch keine Handynummer der Hagazussa. So bleibt ihm
nichts anderes, als hier im strömenden Regen zu warten. Weiter vorne steht Miriams
blauer Cherokee. Vielleicht ist ja die Tür des Wagens unversperrt und er kann
sich hineinsetzen, um nicht völlig zu durchnässen. Doch auch hier sind alle
Türen verriegelt.
Teufl überlegt, wie er die
Hagazussa notfalls dazu bringen könnte, von hier zu verschwinden, denn es wäre
ja möglich, dass sie auch diese Drohung nicht ernst nimmt. Vielleicht genügt
ein Gespräch mit Gerstl. Er könnte ihr als Bürgermeister dieses Ortes zumindest
verbieten, ihren Wohnwagen hier abzustellen und darin zu
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